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Langlauf

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Biathlon

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Entwicklung des Parasports

Das Wort Paralympics wird seit ca. 1960 verwendet. Es ist aus den Wörtern „Para“ (gr.: Lähmung; neben) und „olympics“, (engl.: Olympische Spiele) zusammengesetzt. So ist auch Para Ski Nordisch zu verstehen: Gemeint ist der Teil des Langlauf- und Biathlonsports in dem Menschen mit Behinderungen am Wettkampfsport teilnehmen und gemäß dem Ausmaß ihrer Behinderung ihre Leistungen miteinander vergleichen können.

Menschen mit Behinderung

Behinderungen können von Geburt an bestehen, im Laufe des Lebens durch z. B. Krankheiten entstehen oder durch ein Trauma schlagartig eintreten. Gerade Beeinträchtigungen am Bewegungsapparat bzw. Gangbild werden meist unmittelbar von Menschen ohne Behinderung wahrgenommen. Die Reaktionen der direkten und der über die Medien erreichten Umwelt sind komplex, z. T. auch widersprüchlich: Wohlwollendes Staunen, unbewusstes Abwerten und Ignorieren mischen sich mit Mitleid und Schuldgefühlen, Helfen-Wollen/-Müssen, gar Überfürsorglichkeit. Daraus resultiert bewusst und unbewusst nicht selten Distanzierung und Unsicherheit, die sich nachteilig auf alle Beteiligten auswirken können (Köpcke, 2019).
Im Falle des plötzlichen Eintretens von Behinderung sind die bisherige Identität und Integrität des Einzelnen gefährdet. Ohne starken eigenen Willen und ohne private wie professionelle Hilfen können in solchen Fällen Depression und Lethargie drohen. Das Risiko für weitere Erkrankungen, Abhängigkeiten und Ausgrenzung wächst (Köpcke, 2019).
Nach Überwindung der ersten Traumatisierung ist der Mensch mit Behinderung um Wiederherstellung seiner Integrität und um ein selbstbestimmtes Leben bemüht. Dies kann einerseits auf eine schnelle Wiederherstellung von Normalität in Beruf, Mobilität und Freizeit hinzielen. Insoweit das nicht möglich ist, kann die Integrität andererseits durch eine Neuausrichtung des Lebens geschehen, in dem ein anderer, zur Behinderung passender Beruf gesucht, der Alltag umgestaltet und auch die Freizeit neu ausgerichtet wird, z. B. durch den Eintritt in den Para Sport. Dabei ist der Beitritt in eine Gruppe ähnlich Betroffener von Vorteil, mit denen ein Wir-Gefühl aufgebaut, Situation, Probleme und Perspektiven diskutiert, voneinander gelernt und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. Ebenso wichtig für die Eingliederung in die Gesellschaft und für das selbstbestimmte Leben ist die parallele Integration in Gruppierungen mit Menschen ohne Behinderungen, z. B. in Ausbildung, Arbeitsplatz, Familie und Freizeitgruppen wie im Sport (Köpcke, 2019).
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein für Menschen mit Behinderung gewandelt. Im modernen gesellschaftlichen Verständnis wird „Behinderung“ nicht nur auf der individuellen Ebene durch Einschränkungen und Defizite definiert, sondern auch umweltbezogen durch die Qualität und Quantität von Zugangsmöglichkeiten bzw. Barrieren bestimmt. Menschen mit Behinderung werden als wertvolle Mitglieder der Gemeinschaft zunehmend geschätzt. Die Philosophie dabei ist, allen Menschen die bestmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, in Ausbildung und Berufsleben, im sozialen und politischen Bereich, nicht zuletzt im kulturellen und Sportbereich (Schliermann, Abel, Anneken, Scheuer, & Froböse, 2014).
Bestehende Barrieren, wörtlich und übertragen gemeint, für Menschen mit Behinderung müssen dafür abgebaut und weiter verringert werden. Wer experimentell ein paar Stunden in einem Rollstuhl in einer Stadt verbringt, kann das sehr deutlich selbst erfahren. Die Ermöglichung des freien Zugangs und die Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln und Begleitpersonen sollen Mobilität gewährleisten (DOSB, 2013).
Es sind große Zentren entstanden, in denen Verunfallte und Erkrankte aufgrund großer Erfahrung und wissenschaftlicher Expertise systematisch behandelt und bis zu einer ersten Selbstständigkeit nachversorgt werden. Dies hat dazu geführt, dass heute ein Großteil der Menschen mit Behinderung ein weitgehend eigenständiges Leben führen kann. Viele Zugänge im öffentlichen Verkehr und Gebäuden sind „barrierefrei“, Arbeitsplätze und Wohnungen behindertengerecht eingerichtet worden. Weiterhin ist ein neues Bewusstsein entstanden, dass die Helfer (Pfleger) Menschen mit Behinderung „assistieren“ und sie nicht fremdbestimmen. Statt institutioneller „Verbesonderung“, Machtausübung und Stigmatisierung (Köpcke, 2019) ist das Ziel der betreuenden Pflege die Entfaltung der Persönlichkeit und der Erhalt einer unbeschadeten Identität. Dabei kann die Sportausübung, insbesondere der Wettkampfsport, eine wesentliche, positive und förderliche Rolle spielen. Der Sport ist viel mehr als nur ein therapeutischer Ausgleich zu den oft sitzenden Tätigkeiten im Alltag.

Historie des Behindertensports

Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts empfahlen Mediziner aus rehabilitativen Gründen, dass Menschen mit Behinderung Sport in Form von Heilgymnastik treiben sollten. In der Folgezeit kamen auch weitere sportpolitische Bewegungen dazu. Die heutige Wettkampf-Sportbewegung für Menschen mit Behinderung lässt sich auf den Neurochirurgen Ludwig Guttmann zurückführen, der ab 1943 ein nationales Zentrum für die Behandlung von Rückenmarkserkrankungen/-verletzungen der zahlreichen Kriegsversehrten im Stoke Mandeville Hospital in Aylesbury (England) aufbaute. Er entwickelte die damals revolutionäre Methode, Querschnittsgelähmte über körperliche Bewegung bzw. Sport zu rehabilitieren und wieder an Berufstätigkeiten heranzuführen. Daraus entstand die Idee zu sportlichen Wettkämpfen. 1948 fanden – etwa zeitgleich und in räumlicher Nähe zu den Olympischen Spielen in London – die ersten Stoke Mandeville-Games mit 16 querschnittgelähmten Teilnehmern im Bogenschießen statt. Seit 1952 nahmen ausländische Para Sportler an den Wettkämpfen teil (130 Teilnehmer). 1960 wurden die 9. International Stoke Mandeville-Games erstmals unter dem Namen „Paralympic Games“ in Rom am Ort der Olympischen Spiele durchgeführt (400 Teilnehmer), 1976 fanden in Schweden die erste Paralympischen Winterspiele statt. Seit 1988 (Seoul) bzw. 1992 (Albertville) finden die Paralympics im Anschluss an die Olympischen Spielen am selben Austragungsort statt. 2016 nahmen in Rio de Janeiro 4350 Para Sportler aus 176 Nationen in 528 Wettbewerben teil. Neben der Zahl der Teilnehmenden stiegen sowohl das mediale Interesse, als auch die internationalen Zuschauerzahlen stetig an.
Auch in Deutschland sah man den Sport in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg zunächst als probates Mittel, die Folgen von Kriegsverletzungen zu überwinden und die Kriegsversehrten wieder in das gesellschaftliche Leben und den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der sogenannte Versehrtensport fand in den Vereinen bzw. entsprechenden Abteilungen statt. 1950 fanden die ersten Deutschen Versehrtenmeisterschaften im Schwimmen und in der Leichtathletik statt. Schon 1951 wurde die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Versehrtensport“ gegründet, die 1976 in „Deutscher Behindertensportverband“ bzw. „DBS“ umgewandelt wurde. Der DBS ist zugleich ein Multisportartenverband (u. a. mit Para Leichtathletik, Para Schwimmen, Para Ski Nordisch und Para Tischtennis) sowie der Dachverband für die Verbände, die einzelne Behinderungsgruppen (wie z. B. die Querschnittgelähmten) repräsentieren.
Durch die Internationalisierung der Wettbewerbe wurden seit 1952 auch internationale Sportverbände für Menschen mit Behinderung gegründet, die sich seit 1982 zu Dachverbänden, dem International Coordinating Committe Sports (ICC) zusammenschlossen. Im Jahre 1989 wurde das Internationale Paralympische Committee (IPC) gegründet (Schliermann et al., 2014).
Para Ski Nordisch Wettkämpfe fanden 1976 in Örnsköldsvik (Schweden) zum ersten Mal unter paralympischer Flagge für Para Sportler mit körperlichen Einschränkungen und Sehbehinderungen statt.
Die Sportarten Para Biathlon und Para Skilanglauf sind in der World Para Nordic Ski Association (WPNA) ein Teil des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). Alle zwei Jahre finden Weltmeisterschaften statt, Paralympische Winterspiele alle vier Jahre.

Aufgaben des Behindertensports

Sport dient allen Menschen zur bewegungs- und körperorientierten ganzheitlichen Entwicklung der Persönlichkeit und strebt Gesundheit in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht an. Dabei kann der Sport auch zu therapeutischen, rehabilitativen, präventiven und nicht zuletzt Wettkampf-Zwecken eingesetzt werden und behält seinen Eigenwert als gesundheitsfördernde Tätigkeit (DBS, 2020).
Die besonders im Vereinssport bestehende Chance zur Umsetzung von Inklusion sollte von Politik und Gesellschaft anerkannt und gefördert werden, denn Inklusion ist ein langfristiger Prozess und vollzieht sich wechselseitig, wenn es eine Willkommenskultur gibt. Vereine und in ihnen oftmals auch einzelne Personen können für Strukturen innerhalb der Kulturen Kristallisationskeime sein.
Die Politik ist genauso gefragt wie Verbände und jeder Einzelne. Aufklärung, Sensibilisierung, Orientierungshilfen und positive Beispiele sind hilfreich zur Förderung von gleichberechtigter Partizipation im organisierten Sport und dem Abbau von Unsicherheiten und Vorurteilen.

Der Index für Inklusion im und durch Sport kann hierfür ein Wegweiser sein. Er enthält Informationen und Arbeitsmaterialien: https://www.dbs-npc.de/sport-index-fuer-inklusion.html

Gesundheitsmotiv

In einer zunehmend bewegungsarmen Gesellschaft mit entsprechenden Nachteilen für Gesundheit und Fitness sind Menschen mit Behinderung durch äußere Umstände („Barrieren“), z. T. auch durch die Überbehütung des Elternhauses noch einmal eingeschränkter in ihrer Reichweite, sodass sie schon in jungen Jahren als Risikogruppe statistisch stärker von zivilisatorisch bedingten Erkrankungen bedroht sind. Das Sportangebot hilft Ihnen einen gesundheitsfördernden Lebensstil zu entwickeln. In diesem Zusammenhang ist auch das „Deutsche Sport-Abzeichen für Menschen mit Behinderung“ anzusiedeln, das die Interessenten zu regelmäßigem Sporttreiben anregen soll. Dies gilt gleichermaßen für Menschen mit angeborener wie durch Erkrankung oder Unfall erworbener Behinderung.
Die Mehrzahl der durch Unfall querschnittgelähmten Menschen wird in darauf spezialisierten Zentren über mehrere Monate versorgt. Dabei werden sie von einem Team von Fachkräften betreut, das nach der medizinischen Versorgung der Betroffenen ihre selbstständige Alltagsbewältigung inklusive autonomer Mobilität, die Eingliederung in das gesellschaftliche und das berufliche Leben als Ziel hat. Bei der Rehabilitation spielt der Sport bzw. die Heranführung an eine geeignete Sportart eine große, je nach Zentrum aber auch unterschiedliche Rolle (Köpcke, 2018). Einzelne Zentren wie das in Nottwil (Schweiz) haben eine gewachsene enge Verbindung zum Leistungssport.
Mit angemessenen sportlichen Aktivitäten steigern Menschen aller Altersgruppen ihre allgemeine Fitness, vergrößern beispielsweise Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit, aber auch ihre koordinativen Fähigkeiten. Das verschafft ihnen Autonomie im Alltag, z. B. leichterer Sitzwechsel für Querschnittgelähmte, und vergrößert die Teilhabe am öffentlichen Leben (Köpcke, 2018).

Selbstwert, Lebensqualität

Durch und bei der Ausübung ihres Sports erwerben die Para Sportler gesundheitsrelevantes, strategisches Know-how und können nachfolgend eigenverantwortlich sportlich aktiv werden. Dadurch erleben sie den Sport, vor allem aber sich selbst im Sport, in einem neuen Rahmen (Reframing) und schaffen sich ein selbstbestimmtes Handlungsfeld, einen eigenen Lebensstil, für den die Behinderung nur der Ausgangspunkt ist. Oft wirkt die Trainingsgruppe als Antrieb auf den Einzelnen zurück, der bestimmte Standards der Fitness, aber auch des alltäglichen Könnens erreichen möchte, damit Hilfskräfte entlastet, gar entbehrlich gemacht werden. Der eigene Aktionsraum kann so vergrößert werden, die autonome Mobilität gewinnt an Qualität, sodass ggf. auch erweiterte Ausbildungen und Berufstätigkeiten möglich werden.

Teilhabe durch Sport
Theoretisches Modell zur Teilhabe am und durch Sport (Schliermann, 2014, S. 28).

Sozial-integrative Funktion

Menschen mit Behinderungen verbringen in der Schule, im Beruf und im Alltag häufig viel Zeit mit sitzenden Tätigkeiten (z. B. an Bildschirmen), hingegen wenig Zeit mit körperlichen Tätigkeiten. Für die seelische, körperliche und geistige Entwicklung ist Bewegung jedoch unabdingbar.
Sporttreiben ist über die physische Komponente hinaus Teil eines Lebensstils, den man allein, aber auch in Gemeinschaft erleben kann. Für viele Kinder und Jugendliche stellt das Sportangebot der Vereine die erste Möglichkeit dar, sich neben Elternhaus, Kindergarten und Schule einen selbstbestimmten Lebensbereich mit Gleichgesinnten zu erschließen. Dies kann durch die Wahl des Vereins und der Sportart, aber auch durch die Entscheidung, in einer Gruppe mit anderen Para Sportlern oder in einer Gruppe mit nicht-behinderten Sportlern (=Inklusion) sportzutreiben, erfolgen, insofern es entsprechende Angebote gibt. Die Gesellschaft ist daher aufgefordert […] „Maßnahmen zu treffen, die eine stärkere und gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen“. (Schliermann et al., 2014)
Das beinhaltet die Bereitschaft der Öffentlichkeit, den Bau bzw. Zugang zu geeigneten Sportstätten und ein entsprechendes Sportangebot zu ermöglichen, Lehrende, Übungsleiter sowie Trainer zur Realisierung des Sportangebots zu gewinnen und inhaltlich und rechtlich zu qualifizieren. Nicht zuletzt wird die Einsicht des familialen Umfeldes benötigt, das Sportengagement ihrer Kinder, Angehörigen bzw. Schutzbefohlenen betreffs Ausrüstung, Anfahrt, nicht zuletzt auch mental zu unterstützen.

Inklusion ist ein gesellschaftlicher Prozess, der die Vielfalt menschlichen Daseins ohne Vorbehalte akzeptiert und die Verschiedenheit der Menschen als Chance begreift.

Leistungsaspekt

Para Sportler können und sollen Vorbilder sein. Im Leistungssport möchten sie ihre individuelle Leistung optimieren und sich im Wettkampf mit anderen messen, um Siege und Medaillen zu feiern. Auf lokaler und regionaler Ebene beginnend, reichen die Wettkämpfe über nationale bis zu internationalen Meisterschaften bzw. den Paralympischen Spielen. Dabei gilt es zunächst im Training entsprechende Fertigkeiten und eine allgemeine Fitness zu erwerben, um an ersten Wettkämpfen im lokalen Rahmen teilnehmen zu können, später auf regionalem Niveau.

Auch wenn sich dabei herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen nicht für noch größere Erfolge genügen, wird darüber doch die körperliche Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden verbessert und Lebensqualität vermittelt, möglicherweise lebenslang und sich auswirkend in allen Bereichen des Lebens.

Grundlage für die Aufnahme in einen Kader bilden die allgemeinen und die sportartspezifischen Kaderrichtlinien des DBS, die vor allem auch für die individuelle Förderung durch Sporthilfe oder die Grundförderung an den Olympiastützpunkten entscheidend sind. Auch für Sponsoren ist der Kaderstatus relevant. Dieser Status und dessen Kriterien (häufig anhand von Platzierungen an Saisonhöhepunkten) werden jährlich überprüft (DBS, 2020).

Es gibt folgende Kaderstufen:

  • Paralympicskader (PAK)
  • Perspektivkader (PK)
  • Nachwuchskader (NK1/2)
  • Landeskader

Nachwuchsgewinnung

Bei den Paralympics in Pyeongchang 2018 wurden 38 von insgesamt 80 Goldmedaillen im Para Ski Nordisch vergeben. Das ist fast die Hälfte aller vergebenen Medaillen. Para Ski Nordisch ist als Kernsportart im Deutschen Behindertensportverband fest verankert.

Grundsätzlich gelten die gleichen Talent- bzw. Auswahlkriterien für Menschen mit wie ohne Behinderung in Bezug auf die Kader: gute Koordinations- und Schnelligkeitsleistungen, eine rasche Auffassungsgabe, eine hohe motorische Lernfähigkeit und körperliche Robustheit bei steigenden Trainingsbelastungen. Nicht zuletzt sind die Motivation für ein langdauerndes, regelmäßiges Training und das Abrufen der Leistung im Wettkampf wichtige Eingangsvoraussetzungen für diese Sportart.
Bei Quereinsteigern, die erst nach einem Unfall oder einer Erkrankung zum Para Sport kommen, haben sich möglicherweise zuvor schon entsprechende Fähigkeiten und Fertigkeiten gezeigt, auf die zurückgegriffen bzw. an die in der Para Sportkarriere angeknüpft werden kann.
Eine Besonderheit des Leistungssports für Menschen mit Behinderungen ist die kleine Grundgesamtheit. Tab. 1 zeigt, dass 2015 in Deutschland ca. 290.000 schwerbehinderte Menschen im Alter von 15-45 Jahren leben, also dem Alter, in dem Menschen erfahrungsgemäß Wettkampfsport betreiben. Dies entspricht etwa 0,3 % der Bevölkerung. Engels, Engel und Schmitz (2016) zeigen auf, dass jährlich in Deutschland ca. 1.000 Personen eine Querschnittlähmung durch einen Unfall erleiden, davon 70 % Männer, 26 % Frauen und 4 % Kinder. Etwa 65 % erleiden eine teilweise Lähmung (Paraplegie) und 35 % eine Lähmung aller Gliedmaßen (Tetraplegie).

Auch wenn die Zahl der Menschen mit einer weniger schweren Behinderung (von 20-50 % Einschränkung) zum vorherig genannten Anteil hinzugerechnet werden muss, bleibt die Quote der Menschen mit Behinderung an der Gesamtbevölkerung unter wenigen Prozentpunkten. Wie bei nicht-behinderten Menschen, nehmen von den Menschen mit Behinderung nur ein Bruchteil am Leistungssport teil, was für die Organisation, insbesondere die Dichte des Behindertensports erhebliche Folgen hat, kann doch kein vergleichbares Netz an Trainingsgruppen/Mannschaften auf den verschiedenen Alters- bzw. Leistungsniveaus sichergestellt werden.

Tabelle 1: Altersspezifische Verteilung Menschen mit schwerer Behinderung nach Art der Behinderung in Deutschland (Bundesamt für Statistik 2015, hier nach DBS, 2020, 23).


Art der Behinderung

 

Alter

6-15

15-18

18-25

25-35

35-45

Gesamtpersonenzahl

Verlust/Teilverlust von Gliedmaßen

385

153

555

1.400

2.248

4.741

Funktionseinschränkung von Gliedmaßen

2.848

1.458

4.682

12.351

22.980

44.319

Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule

266

194

635

2.497

7.139

10.731

Blindheit und Sehbehinderung

2.654

1.195

3.569

7.882

10.283

25.583

Querschnittslähmung

115

66

391

1.460

2.267

4.299

Kleinwuchs

9

6

74

157

169

435

Hirnorganisches Psychosyndrom mit neurologischen Ausfällen am Bewegungsapparat

5.504

2.229

6.013

10.800

13.650

38.196

Intellektuelle Beeinträchtigung

30.164

12.832

34.867

54.560

42.498

174.930

Mittlerweile wird es in einzelnen olympischen Sportarten zunehmend zum Problem, genügend geeignete oder auch nur interessierte Sportler zu finden (Killing, 2021), um eine Trainingsgruppe aufzubauen oder zu erhalten. Aus verschiedenen Gründen ist dies im Para Sport nochmals deutlich schwieriger:

  • es gibt nur eine kleine Grundgesamtheit von Menschen mit Behinderung (s.o.)
  • gesellschaftliche Vorbehalte gegen Leistungssport für Menschen mit Behinderung
  • Ängste der Vereine bzw. Trainer und Para Sportler in ihre Gruppen aufzunehmen
  • kein flächendeckendes Trainingsangebot für Menschen mit Behinderung
  • Verbot für Ärzte, Adressen von Patienten und -Daten nach Unfall, Operation, Erkrankung an Vereine bzw. Verbände weiterzuleiten
  • Sorge des familialen Umfeldes, dass sich ihre Kinder beim Sport überfordern
  • erschwerte Mobilität bzw. vermehrter Zeitaufwand für Angehörige

All das erschwert Menschen mit Behinderung den Zugang zu einem angemessenen Sportangebot. Will ein Trainer vor diesen Umständen nicht kapitulieren, sondern trotzdem zahlenmäßig ausreichende, leistungsfähige Trainingsgruppen erhalten, muss er entsprechend Strategien entwickeln und ein Netzwerk spannen:

  • Mund-zu-Mund-Werbung im und außerhalb des Sports durch Mitglieder der Trainingsgruppe
  • Kontaktnetz der in Vereinen und Verbänden zuständigen Personen zu Kindergärten, Schulen, Ärzten, Physiotherapeuten und Orthopäden
  • Fortgesetzte Öffentlichkeitsarbeit über lokale Medien, Schnupperangebote
  • Vorbildwirkung erfolgreicher Para Sportler gezielt zur Anwerbung einsetzen
  • Vor allem muss er oder sie die Eltern erreichen

Dort, wo nachhaltig parasportliche Trainingsgruppen existieren, findet man diese und noch andere Strategien zur Nachwuchssicherung, jeweils unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der individuellen „Handschrift“ der Betreiber.