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Tischtennis

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Spielanalyse

Einleitung
Die sportliche Leistung ist ein komplexes Konstrukt aus verschiedenen Komponenten und Teilbereichen. Neben den vorhandenen technischen und taktischen Fähigkeiten des Athleten, spielen (wie in den anderen Kapiteln nachzulesen) auch die medizinische, physiotherapeutische und psychologische Betreuung eine immer größer werdende Rolle. Ein weiterer Bereich, der genutzt wird, um die technischen und taktischen Fähigkeiten zu verbessern bzw. zu optimieren und in den letzten Jahren auch durch neue innovative Technologien und Methoden an Stellenwert gewinnt, ist die Spielanalyse.

Gerade im Para Tischtennissport hat dieser Bereich ein besonders großes Potential.
Bedingt durch die vorhandenen körperlichen Einschränkungen der Athleten, ist eine gute taktische Spielvorbereitung bzw. taktische Erziehung von besonderer Bedeutung, um zum einen die eigenen (physischen) Schwächen möglichst zu vermeiden und zum anderen die gegnerischen Defizite taktisch klug und konsequent auszuspielen. Auch für den technischen Bereich ist eine gezielte Spielanalyse hilfreich, da bei körperlichen Einschränkungen (egal welcher Ausprägung) Schlagtechniken häufig nicht nach dem klassischen Lehrbuch gelehrt bzw. ausgeführt werden können, sondern ganz persönliche Individuallösungen gefunden werden müssen.

In vielen Nationen im (Para) Tischtennis ist der Begriff „Analyse“ oder „Spielanalyse“ mit einer unsystematischen und qualitativen Sichtung von Videomaterial gleichzusetzen. In erfolgreichen Tischtennisnationen wie China, Japan und Deutschland wird im Hochleistungsbereich vermehrt eine systematische und wissenschaftlich fundierte Spielanalyse betrieben, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen oder diesen weiter auszubauen.

Wozu dient eine Spielanalyse?
Athleten und Trainer müssen für das Training und für Wettkämpfe bzw. deren Vorbereitung regelmäßig diverse Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen müssen auf Grundlage von stichhaltigen Beweisen getroffen werden.

Der Grund, weshalb Spielanalysen eingesetzt werden sollten und man sich nicht ausschließlich auf Meinungen und Erfahrungen von Trainern oder Spielern verlassen sollte, beruht vor allem auf der „subjektiven“ Komponente. Eine Studie aus dem Fußball (Laird and Waters, 2008) hat gezeigt, dass die Erinnerungsfähigkeit von Menschen limitiert ist. So konnten sich Trainer nur an ca. 60% der wichtigen Geschehnisse eines Spiels erinnern. Zusätzlich können Emotionen oder eine falsche Selbstwahrnehmung die Genauigkeit und Objektivität des Trainers oder Spielers beeinflussen.

Um diese Probleme zu umgehen, dient die Spielanalyse als das Werkzeug, um stichhaltige, zuverlässige und möglichst objektive Informationen über sportliche Leistung zu liefern, die als Grundlage für fundierte Entscheidungen dienen können.

In den folgenden Absätzen werden grundlegende Begrifflichkeiten erklärt, welche die Grundlage für eine zielführende Spielanalyse bzw. die entsprechenden Methoden bilden.

Systematische Spielanalyse
Die systematische Spielanalyse ist eine Methode zur objektiven Aufzeichnung von Leistung, indem bestimmte Elemente (Ereignisse/Handlungen) notiert werden. Durch die Notation der Ereignisse und Handlungen kann die Leistung auf konsistente und zuverlässige Weise
quantifiziert werden. Um die Objektivität zu gewährleisten, muss die Spielanalyse standardisiert werden. Hierfür sind folgende Aspekte zu beachten:

  • Die zu beobachtenden Variablen sind im Voraus festzulegen

Vermeidung von subjektiver Beurteilung (sofern möglich), andernfalls muss der Beobachter detaillierte Richtlinien befolgen (bzw. eine gewisse Expertise vorweisen).

Für die Durchführung der systematischen Spielanalyse im Tischtennis (sowie in allen anderen Sportspielen) muss ein entsprechendes Beobachtungssystem entwickelt und zugrunde gelegt werden. Das Spiel wird in Form eines Beobachtungssystems beschrieben, dieses dient sozusagen als Modell eines Tischtennisspiels.

Das Konzept des Beobachtungssystems basiert auf drei Strukturelementen:

  1. Art des Beobachtungssystems: Im Tischtennis kommt das sogenannte Kategoriensystem (als eine von zwei Arten an Beobachtungsystemen) zum Einsatz, welches ein Spiel als kontinuierliche Abfolge von sogenannten Beobachtungseinheiten aufzeichnet bzw. modelliert. Durch diese ist ein Spiel im Nachhinein komplett rekonstruierbar.
  2. Beobachtungseinheiten: Im Tischtennis gibt es je nach Detailgrad der Analyse folgende Optionen: (Spiel,) Ballwechsel und Schlag, wobei diese nicht zwangsläufig unabhängig voneinander, sondern auch als mehrdimensionales Konstrukt angesehen werden können. Ein Tischtennisspiel besteht aus einer kontinuierlichen Abfolge von Ballwechseln, wobei ein Ballwechsel wiederum aus einer Abfolge von Schlägen besteht.
  3. Beobachtungsmerkmale und Merkmalsstufen: Durch die Beobachtungsmerkmale und Merkmalsstufen wird das theoretische Konstrukt eines Beobachtungssystems nun mit konkreten Inhalten gefüllt. Ein Beispiel aus dem Tischtennis für ein Beobachtungsmerkmal wäre die Schlagtechnik mit den Merkmalsstufen Konter, Topspin, Schupf, Schuss, Block, Abwehr, Ballonabwehr, Flip, und Sonstiges.
    Es kann zwischen folgenden Arten von Merkmalen unterschieden werden:
    1. Allgemeine Merkmale: z. B. Spieler, Aufschläger, Spielstand
    2. Zeitliche Merkmale: z. B. Start- und Endzeit einer Beobachtungseinheit
    3. Räumliche Merkmale: z. B. Ballplatzierung, Balltreffpunkt, Flugkurve
    4. Technische Merkmale: z. B. Schlagtechnik, Lateralität, Rotation, Geschwindigkeit
    5. Taktische Merkmale: z. B. taktische Spielzüge, Doppel-Taktiken

Tabelle 1 zeigt ein Beispiel für ein Beobachtungssystem zur Analyse von Tischtennisspielen.

Tabelle 1: Mehrdimensionale Struktur eines Tischtennis-Beobachtungssystems mit den Beobachtungseinheiten „Spiel“, “Ballwechsel“ und „Schlag“ mit ihren jeweiligen Beobachtungsmerkmalen

Die Beobachtungsmerkmale inkl. ihrer Beschreibung und den entsprechenden Merkmalsstufen sind auszugsweise in Tabelle 2 aufgeführt.

Tabelle 2: Beobachtungsmerkmale, Beschreibungen und Merkmalsstufen der Beobachtungseinheiten „Ballwechsel” und „Schlag“.

Abbildung 1 zeigt einen Screenshot des Spielanalyse-Tools „TUM.TT“, welches das beschriebene mehrdimensionale Beobachtungssystem zur Spielanalyse nutzt. Das Werkzeug wurde an der Technischen Universität München in Kooperation mit dem DTTB und dem DBS entwickelt und kam u.a. zur Vorbereitung auf die Paralympics 2021 zum Einsatz.

Im unteren Bereich der Abbildung können die Merkmale bzw. Merkmalsstufen des aktuellen Ballwechsels ausgewählt werden. Im rechten Bereich sind die entsprechenden Informationen zum aktuellen Schlag zu sehen bzw. anzugeben.

Hinweis:

Die Methode der systematischen Spielanalyse ist nicht gleichzusetzen mit dem gewählten Werkzeug, welches zur Durchführung der Analyse benutzt wird! So kann eine systematische Spielanalyse mit einer (sportartspezifischen) Softwarelösung (siehe Abbildung 1), aber genauso z. B. mit einer Exceltabelle (siehe Abbildung 2) oder Papier und Stift (siehe Abbildung 3) durchgeführt werden.

Wichtig:
Neben der systematischen Durchführung mit einem vorher festgelegten Beobachtungssystem (inkl. der definierten Elemente/Ereignisse), ist für eine gute Entscheidungsfindung eine vollständige Analyse notwendig. Vollständig bedeutet in diesem Kontext nicht, dass für jeden Ballwechsel jedes Merkmal analysiert werden muss, sondern, dass (wenn der Beobachter sich z. B. auf ein Merkmal fokussiert – was möglich ist) das ausgewählte Merkmal bei allen Ballwechseln des Spiels analysiert werden muss. Wenn ein Merkmal nur bei einem Teil der Beobachtungseinheiten analysiert wird, sind die Ergebnisse nicht aussagekräftig!

Beispiel im Tischtennis: Es muss bei einem Aufschlag nicht immer Technik, Rotation und Platzierung analysiert werden, sondern der Beobachtende kann sich je nach Bedarf auch auf ein Merkmal wie z. B. die Platzierung fokussieren. Die Notation der Aufschlagplatzierung muss allerdings für jeden Aufschlag des Spielers im gesamten Spiel durchgeführt werden.

Das Ergebnis einer systematischen Spielanalyse bzw. der Notation von vorher definierten Elementen bzw. Ereignissen sind Häufigkeiten von Merkmalsstufen.

Beispiele:

  • Anzahl der Aufschläge von Spieler A kurz in die Vorhandseite von Spieler B
  • Anzahl der Flips von Spieler A beim Rückschlag

Aufgrund der vollständigen Notation eines Merkmals bei allen Beobachtungseinheiten können folglich nicht nur Häufigkeiten einer Merkmalsstufe, sondern auch prozentuelle Anteile einer Merkmalsstufe angegeben werden, was in der Praxis häufig sinnvoller ist.

Beispiele:

  • Spieler A macht 75% seiner Aufschläge kurz in die Vorhandseite von Spieler B
  • Spieler A schupft 90% seiner Rückschläge
     

Diese Häufigkeiten bzw. Statistiken von einzelnen technisch-taktischen Merkmalen sind zuerst einmal beschreibender Natur. Damit können Verhaltensmuster und Taktiken des Gegners beschrieben und nachvollzogen werden. Weiter kann überprüft werden, ob der eigene (taktische) Plan umgesetzt wurde.

Was ist die „richtige“ Taktik/mit was habe ich Erfolg?
Wie zu Beginn dieses Kapitels beschrieben, ist das Ziel einer Spielanalyse, eine objektive Grundlage für zukünftige Entscheidungen zu schaffen bzw. im technisch-taktischen Bereich einen Vorteil zu generieren. Um einen Vorteil zu generieren, muss bekannt sein, welche technisch-taktischen Mittel bisher erfolgreich waren. Anders ausgedrückt: Mit welchen technisch-taktischen Mitteln hat ein Spieler einen Punktgewinn erreicht?

Zusätzlich zur Betrachtung von isolierten Häufigkeiten einzelner Merkmalsausprägungen, ist in der Praxis die Kombination dieser mit dem Ergebnis eines Ballwechsels von Interesse. Denn so kann neben einer reinen Beschreibung von Verhaltensmustern zusätzlich eine wertende Komponente hinzugefügt werden.

Beispiele:

  • Wenn Spieler A einen Aufschlag kurz in die Vorhandseite von Spieler B macht, gewinnt Spieler A 60% der Punkte
  • Wenn Spieler A beim Rückschlag schupft, gewinnt Spieler A zu 30% den Punkt
     

Hinweis:

Es muss hier explizit zwischen direktem und indirektem Punktgewinnen unterschieden werden. Je nach Definition bzw. Auswahl der Ballwechsel handelt es sich in den meisten Fällen nicht ausschließlich um direkte Punktgewinne/-verluste durch das analysierte technisch-taktische Merkmal, sondern auch um Punktgewinne/-verluste im weiteren Verlauf eines Ballwechsels. Deshalb ist der kausale Zusammenhang zwischen technisch-taktischem Element und Erfolg nicht immer automatisch gegeben. Diese Statistiken und Gewinnwahrscheinlichkeiten müssen immer im Kontext betrachtet werden und deuten nicht automatisch auf Stärken und Schwächen eines Spielers hin oder führen zu taktischen Hinweisen.

Dies ist ein Grund, weshalb zusätzlich zu einer systematischen Spielanalyse, die quantitative Ergebnisse liefert, zusätzlich die Methode der qualitativen Spielanalyse notwendig ist.

Qualitative Spielanalyse
Leistung wird durch objektive, quantitative Rekonstruktion und durch Interpretation einer Fülle von Information unter Einbeziehung von teilweise subjektivem (Hintergrund-)Wissen erfasst und beurteilt. Eine qualitative Analyse ist notwendig, da kausale Zusammenhänge in den meisten Fällen nicht automatisch durch summative, quantitative Statistiken ableitbar sind. Oft ist hierfür eine tiefergehende Interpretation des Einzelfalls und die Berücksichtigung von zusätzlichen Informationen notwendig. In Bezug auf technisch-taktische Merkmale im Tischtennis geht es vor allem darum, mit welcher Qualität etwas ausgeführt wurde und nicht allein darum, was gemacht wurde. Zusätzlich wird versucht, die Ursache für etwas zu finden, was einerseits vielleicht nicht quantifizierbar oder gar nicht beobachtbar ist.

Bei einer qualitativen Spielanalyse können nicht nur vorher festgelegte Variablen analysiert werden, sondern auch neue Variablen.

Stärken der qualitativen Spielanalyse:

  • nicht nur beobachtbare Variablen, z. B. Berücksichtigung von psychologischem Druck in gewissen Situationen
  • Hintergrundwissen und Kontext wie Verletzungen und Training können mit einbezogen werden
  • Nicht nur Schwarzweiß–Beurteilung der Qualität einer Ausführung

Die Voraussetzung für eine qualitative Spielanalyse ist, dass der Beobachter über gewisse Erfahrung, Expertise und eventuell Hintergrundwissen verfügen muss.

Beispiele der qualitativen Analyse eines Trainers:

  • Der kurze Schupf als Rückschlag ist zu hoch
  • Der halblange Aufschlag wird in der entscheidenden Phase eines Satzes zu lang
  • Der Balltreffpunkt beim Topspin auf Unterschnitt ist zu spät​​​​

Solche Analysen können großen Mehrwert bringen, allerdings sind diese immer mit Vorsicht zu genießen. Rein qualitative Analysen beinhalten immer eine gewisse Subjektivität und Emotionalität. Zusätzlich ist die Vollständigkeit oft fraglich, da, wie bereits erwähnt, die Erinnerungsfähigkeit von Menschen limitiert ist und deshalb Schlussfolgerungen irreführend sein können, weil sie womöglich nicht die Gesamtheit aller Daten berücksichtigen.

Spielanalyse in der Praxis
Aufgrund der jeweiligen Stärken und Schwächen der systematischen (=quantitativen) und qualitativen Spielanalyse, ist das Ziel für die Praxis, eine Kombination aus beiden Methoden durchzuführen.

Abbildung 4 zeigt das Prozessmodell eines ganzheitlichen Ansatzes der Spielanalyse, bei der sowohl die systematische Spielanalyse in Form einer Kopplung von Videosequenzen mit quantitativen Daten und einer quantitativen Vorstrukturierung als auch eine qualitative Spielanalyse zum Einsatz kommen. Für eine professionelle Spielanalyse kommen meist Softwarelösungen zum Einsatz, die die Verbindung von Daten bzw. Statistiken mit den dazugehörigen Videobildern ermöglichen.

Die zwei zentralen Punkte in diesem Prozessmodell, welches einen Kreislauf darstellt, sind Training und Wettkampf. Für die Spielanalyse wird das Video eines Wettkampfes mit Hilfe einer Software in einzelne Sequenzen (= Ballwechsel) aufgeteilt und mit den entsprechenden quantitativen Daten (siehe Beobachtungssystem) gekoppelt. Das Kennzeichnen der Ballwechsel mit Informationen nennt man auch „tagging“ (vom Englischen „to tag“ = kennzeichnen, markieren). Nach dem Tagging können je nach Fragestellung und Analysewunsch tischtennisspezifische Filter gesetzt werden, um eine quantitative Vorstrukturierung durchzuführen (z. B. Filter nach einzelnen Platzierungen oder Rotation beim Aufschlag, Filter nach Schlagtechnik oder Platzierung beim Rückschlag, etc.). Daraus ergeben sich quantitative Statistiken. Nach der Vorstrukturierung folgt die qualitative Spielanalyse eines Experten (Analyst/Trainer), der die vorgefilterten Ballwechsel mit Hilfe seiner Expertise und möglichen Hintergrundinformationen analysiert und interpretiert.

Beispiel: Die systematische Spielanalyse ergab eine Punktgewinnwahrscheinlichkeit von nur 30% (3/10) für Spieler A, wenn dieser den Ballwechsel mit einem langen Aufschlag beginnt. Ohne weitere Analyse würde dieses taktische Mittel als nicht erfolgreich eingestuft werden.
Die qualitative Analyse der einzelnen Aufschläge durch den Trainer ergab aber, dass die drei gewonnenen Punkt, direkte Aufschlagpunkte waren. Bei drei der sieben verlorenen Punkte wurde ein hoher Ball nach einem schlechten Rückschlag des Gegners verschlagen und zwei lange Aufschläge waren zu langsam bzw. qualitativ nicht gut.
Die qualitative Analyse der einzelnen Ballwechsel relativiert die quantitative Analyse bzw. den kausalen Zusammenhang bei einzelnen Ballwechseln, wodurch das taktische Mittel des langen Aufschlags nicht per se als schlecht bzw. nicht erfolgreich eingestuft werden sollte, nur weil die Punktgewinnwahrscheinlichkeit bei 30% lag.

Ein übergeordneter Punkt im Prozess sind, nach der eigentlichen Spielanalyse, die Kommunikation und Präsentation der gewonnenen Informationen adressiert an Trainer und/oder Spieler. Denn eine Analyse ist nur dann hilfreich, wenn Trainer und Spieler die Informationen auch verstehen und diese zu ihrem Vorteil nutzen können. Deshalb ist gerade die Verbindung der „trockenen“ Statistiken mit den dazugehörigen Videos oder anderen Visualisierungen in der Praxis für das Verständnis bei Spielern und Trainern unerlässlich, speziell, wenn es um qualitative Informationen geht. Abbildung 5 zeigt einen Screenshot des vom DBS benutzten Tools für die Präsentation und Besprechungen von Videoanalysen, welches sowohl die quantitativen Statistiken inkl. verschiedener Visualisierungen für selbst wählbare Filter enthält als auch jeweils die dazugehörigen Videosequenzen und Ballwechsel abspielen kann.

In den Besprechungen können auf Basis der Erkenntnisse aus der Spielanalyse einerseits Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für das zukünftige Training kommuniziert werden (wenn es vor dem nächsten Wettkampf eine Trainingsphase gibt), andererseits wird – entweder nach der Trainingsphase oder direkt nach der Spielanalyse – der Spielplan und das Gegnerprofil angepasst, womit der Athlet in den Wettkampf geht. Dieser Wettkampf ist dann erneut der Ausgangspunkt für den zukünftigen Analyseprozess.

Best Practice Beispiel – Analyse der Aufschlagplatzierung
Mit dem vorgestellten Beobachtungssystem und den entsprechenden Werkzeugen könnte theoretisch jeder Schlag eines Tischtennisspiels analysiert und mit Informationen über Schlagtechnik, Platzierung, Balltreffpunkt oder Rotation (beim Aufschlag) getaggt werden. In der Praxis spielt bzgl. der Spielanalyse allerdings der Kosten-Nutzen-Faktor eine wichtige Rolle und je nach individuellem Bedarf stehen verschiedene Fragestellungen im Fokus. Aufgrund des hohen Stellenwertes wird deshalb häufig das Aufschlag/Rückschlagspiel analysiert.

Das folgenden Best Practice Beispiel zeigt eine beispielhafte Analyse der Platzierung des Aufschlags. Es handelt sich um das Spiel zwischen dem Deutschen Thomas RAU und dem Briten Paul KARABARDAK im Viertelfinale der EM 2019.

Tabelle 3 enthält einen Ausschnitt der für die Besprechung zusammengefassten Informationen. Abbildung 6 zeigt eine Übersicht über die Anzahl der jeweiligen Aufschlagplatzierungen, wobei hierfür der Tisch in neun Felder eingeteilt wurde. Zusätzlich ist die Punkt/Fehler-Statistik integriert (kleine Zahl im Feld oben rechts = Punktgewinn, kleine mittlere Zahl rechts im Feld = direkter Punktgewinn mit Aufschlag, kleine Zahl im Feld unten rechts = Punktverlust). Abbildung 7 zeigt zusätzlich die exakten Aufschlagplatzierungen.

Die quantitativen Statistiken aus Abbildung 6 sowie die dazugehörigen, nötigen qualitativen Analysen, die vom Spielanalysten durchgeführt wurden, wurden als Notiz zusammengefasst und sind im unteren Teil der Tabelle 3 zu sehen. Diese Statistiken und Notizen sollten bei einer Besprechung der Spielanalyse für einen optimalen Effekt immer in Kombination mit den entsprechende Videosequenzen präsentiert werden.

Zum besseren Verständnis sind die aus der quantitativen Analyse abgeleiteten Informationen hier gelb markiert, die Erkenntnisse aus der qualitativen Analyse sind türkis markiert.

Spielanalyse vs. Spielerprofil
Tischtennis ist ein interaktiver Prozess zwischen zwei Parteien, bei der die Handlungen des Gegners immer durch die eigenen Handlungen beeinflusst werden (und andersherum). Diese Handlungen und Intentionen der teilnehmenden Parteien können sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln und verändern. Deshalb sollten sich für die Praxis taktische Spielanalysen auf ein einzelnes Match (im Optimalfall das aktuelle) gegen einen bestimmten Gegner beziehen und Daten sowie Statistiken nicht aus mehreren Spielen oder sogar gegen verschiedene Gegner zusammengelegt werden. Spieler passen sich an Situationen und die Stärken und Schwächen des Gegners an, weshalb jedes Spiel (auch gegen denselben Gegner) eine unabhängige Situation repräsentiert, die auch als solche unabhängig von anderen Spielen analysiert werden muss. Das bedeutet jedoch nicht, dass Statistiken aus einzelnen Spielen nicht über mehrere Spiele hinweg verglichen werden dürfen – das müssen sie sogar!

Beispiel: In Spiel 1 zwischen Spieler A und Spieler B ergab die systematische Spielanalyse große Vorteile für Spieler A, wenn dieser den Ballwechsel mit einem langen Aufschlag beginnt – mit einer Punktgewinnwahrscheinlichkeit von 80% (8/10). Dies wurde auch durch die qualitative Analyse bestätigt. In einem späteren Spiel 2 zwischen den beiden Spielern ergab die systematische und qualitative Spielanalyse, dass Spieler B keine Probleme mehr mit den langen Aufschlägen hatte (vermutlich durch gezielte Vorbereitung nach einer Spielanalyse des vorigen Spiels). Die Statistik ergab eine Punktgewinnwahrscheinlichkeit von nur noch knapp 43% (3/7). Das heißt, es ist zwischen den beiden Spielen eine klare Entwicklung zu sehen – von 80% zu 43% Punktgewinnwahrscheinlichkeit. Eine Zusammenlegung der Daten und eine nicht unabhängige Betrachtung hätte eine Statistik von 11/17 = 65% ergeben, was selbst unter Berücksichtigung einer qualitativen Analyse insgesamt immer noch für einen Schwachpunkt bei Spieler B bei langen Aufschlägen des Gegners gesprochen hätte, was aber im aktuellen Spiel ganz klar nicht mehr der Fall ist.

In diesem ganzheitlichen Ansatz gibt es deshalb zwei Dinge, die explizit unterschieden werden müssen: Zum einen die Spielanalyse zu einem einzelnen Spiel mit den dazugehörigen Daten, Statistiken und Videosequenzen und zum anderen die Spielerprofile, die aus einer bzw. mehreren Spielanalysen abgeleitet und immer wieder aktualisiert werden müssen.

Ein Spielerprofil ist eine Art Steckbrief zu einem Gegner, der kompakt die wichtigsten Informationen in Vorbereitung auf ein Spiel beinhaltet. Hierzu gehören Stärken und Schwächen des Gegners (auf Basis von Daten aus Spielanalysen) und auch das generelle Spielsystem. Der zweite wichtige Teil in einem Spielerprofil sind die Handlungsempfehlungen die daraus abgeleitet werden können - der sogenannte Spiel- oder Matchplan. Diese Handlungsempfehlungen ergeben sich in der Praxis aus der detaillierten, qualitativen Analyse des bzw. der letzten Spiele gegen diesen Gegner, welche im Optimalfall durch Statistiken aus der quantitativen Analyse untermauert werden (aber, wie im obigen Beispiel gesehen, nicht zwangsläufig müssen).

Ein Spielerprofil muss klar formuliert und für einen Athleten verständlich sein. Für eine längere Vorbereitung auf ein Spiel, z. B. in einer Trainingsphase vor einem Turnier, in welchem spezielle Punkte in Vorbereitung auf einen Gegner trainiert werden können, kann ein Matchplan durchaus umfangreicher sein. Für die direkte Spielvorbereitung innerhalb eines Turniers sollte sich der Matchplan auf die wichtigsten Punkte konzentrieren. In der Praxis haben sich hier vier bis fünf taktische Punkte als praktikabel herauskristallisiert, da Spieler bei noch mehr Informationen ansonsten überfrachtet werden.

Abbildung 8 zeigt ein Beispiel für ein solches, kompaktes Spielerprofil eines Spielers der Klasse 3, welches zur Vorbereitung auf ein Spiel in einem Turnier genutzt werden kann.

Spielanalyse als interdisziplinäres Hilfsmittel
Die bisherigen Abschnitte zum Thema Spielanalyse fokussieren sich hauptsächlich auf den technisch-taktischen Bereich. Es soll hier explizit auf den Nutzen einer Spielanalyse für andere Bereiche hingewiesen werden.

Gerade für die Sportpsychologie und die mentale Vorbereitung auf ein Spiel kann eine Spielanalyse einen wichtigen Beitrag leisten. Zum einen kann die Spielanalyse mit der Vorbereitung von einzelnen Videosequenzen die allgemeine psychologische Betreuung durch einen Sportpsychologen visuell unterstützen. Zum anderen hat eine gute taktische Vorbereitung an sich auch einen positiven Einfluss auf die mentale Vorbereitung der Athleten auf ein Spiel. Die Athleten sind taktisch vorbereitet und wissen genau, was auf sie zukommt, wodurch gleichzeitig Nervosität, Unsicherheit oder Druck vorgebeugt werden kann.

Ebenso kann der medizinische und physiotherapeutische Bereich durch eine Spielanalyse unterstützt werden. Gerade im Para Bereich sind aufgrund der individuellen Einschränkungen und Hilfsmittel wie Prothesen oder dem Rollstuhl sehr individuelle Belastungen vorhanden, die zu Problemen führen können. Gerade bei der Ursachenfindung können für die medizinische Abteilung vorsortiertes, gefiltertes Videomaterial von spezifischen Situationen von großem Nutzen sein.

Integration der Thematik der Spielanalyse in das Ausbildungskonzept des DBS
Wie in der Einleitung des Kapitels beschrieben, breitet sich der Einsatz einer systematischen Spielanalyse vermehrt im Hochleistungsbereich der Erwachsenen aus. Das Bewusstsein für den Nutzen der Spielanalyse wird zwar größer, doch die Athleten kommen meist erst spät damit in Verbindung. Teilweise unterstützen Sportwissenschaftler oder separate Spielanalysten die Nationalmannschaften, was aber aus finanziellen und personellen Gründen leider die Seltenheit ist.

Deshalb versucht der DBS die Thematik der Spielanalyse frühzeitig auch in das Ausbildungskonzept der Athleten zu integrieren. Dies beinhaltet das Lehren der theoretischen Grundlagen (korrekte Begrifflichkeiten, Methoden der Spielanalyse) und das Üben von selbst durchgeführten Spielanalysen inkl. dem Aufzeigen der Vorteile durch eine systematische Spielanalyse, was bei der Entwicklung der Athleten einige Vorteile mit sich bringt:

  • generelles Verständnis über die Sportart Tischtennis wird verbessert
  • taktisches Verständnis wird verbessert
  • Bessere Kommunikation in Bezug auf technisch-taktische Aspekte
  • Reflexion des eigenen technisch-taktischen Verhaltens im Wettkampf
  • Höheres Bewusstsein für den Einsatz technisch-taktischer Mittel im Wettkampf

Durch eine frühzeitige Einführung, den regelmäßigen Einsatz und das Üben von selbst durchgeführten Spielanalysen im wöchentlichen Trainingsbetrieb, entsteht bei jungen Athleten ein höheres Bewusstsein und Verständnis für den spielanalytischen Bereich (inkl. dessen Nutzen) und dadurch eine frühzeitige und auch höhere Akzeptanz bzw. eine Selbstverständlichkeit der Durchführung von Spielanalysen als fester Teil des Trainings und der Spielvorbereitung.