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Schwimmen
Zerebralparese
Überblick
Eine Zerebralparese ist nicht, wie die Endung „Parese“ vermuten lässt, eine Lähmung. Man versteht unter Zerebralparese ganz allgemein eine Schädigung oder Fehlentwicklung des Gehirns, die vor, während oder nach der Geburt aufgetreten sein kann. Weiterhin kann sie Folge anderer Erkrankungen sein oder durch Unfälle ausgelöst werden. Die Zerebralparese ist die häufigste Ursache für motorische Störungen und schwere neurologische Beeinträchtigungen von Kindern. Ihre Prävalenz beträgt 2-3,5 Fälle pro 1000 Lebendgeburten, bei frühen Geburten (vor der 28. Schwangerschaftswoche) steigt diese auf rund 10% an.
Eine Parese äußert sich in motorischen Störungen, die den Muskeltonus, die Koordination und das Gleichgewicht betreffen können. Neben der Ausführung von Bewegungen ist auch die Haltungskontrolle betroffen, ggf. auch die Mimik, Gestik und die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Man unterscheidet Formen mit zu hohem (hyperton) und mit zu schlaffem (hypoton) Tonus. Etwa 90% der Kinder mit Zerebralparese weisen dabei Störungen des Muskeltonus oder der muskulären Regulationskontrolle auf (Friedman & Goldman, 2011).
Die wichtigsten Formen der Zerebralparese[1] werden nach dem Ort der Schädigung im Gehirn unterschieden (vgl. Abb. 17):
- Spastik (z. B. spastische Mono-, Di-, Hemi- oder Tetraparese):
betroffene Gliedmaße erscheinen steif und unbeweglich oder schlaff,
freifließende Bewegungen sind nicht/nur schwer möglich
- Ataxie:
fehlende Bewegungskontrolle über bestimmte Bewegungen,
keine schnellen, kontrollierten Bewegungen möglich
- Athetose & Dystonie:
unwillkürliche Bewegungen mit langsamer, verkrümmt/gewundener Erscheinung
Abbildung 17
Klassifikation der Zerebralparese nach Baumann, Dierauer & Meier-Heim (2018).
Bei einer Monoparese ist nur ein Gliedmaß betroffen. Die Diparese betrifft zwei Gliedmaße (Arm und Bein) oder ein Extremitätenpaar (Arme oder Beine), häufig tritt dies in beiden Beinen auf. Die Hemiparese betrifft eine Körperhälfte und tritt häufig in steifer, seltener in schlaffer Form auf[2]. Von einer Tetraparese wird gesprochen, wenn alle vier Extremitäten betroffen sind.
In Abgrenzung zur Parese als Beschreibung eines Teilausfalls, bezeichnet der Begriff Plegie den kompletten Funktionsausfall eines Gliedmaßes. Eine komplette Halbseitenlähmung würde bspw. als Hemiplegie bezeichnet werden. Im Falle einer Tetraplegie, also bei komplettem Funktionsverlust aller vier Extremitäten, kann es dabei zu Verwechslungen kommen: Die Tetraplegie beschreibt allgemein eine Form der Querschnittlähmung, die u.a. auch durch Zerebralparese verursacht werden kann. Die häufigste Ursache für eine Tetraplegie stellen Traumata und Unfälle dar, weshalb dieser Begriff im Verständnis auch eher mit Verunfallten verbunden ist. Zur Abgrenzung ist der Begriff „CP Quad“ gängig (CP insbesondere im Englischen für Zerebralparese; Quad als Kurzform von Quadriplegie, einem Synonym für Tetraplegie). „CP Quad“ kann allerdings auch die weniger schwere Ausprägung als Quadriparese/Tetraparese beschreiben. Die Kurzbezeichnung „CP“ wird auch allgemein für Personen mit Zerebralparese verwendet.
Alle Formen der Zerebralparese können als Mischformen auftreten, wobei die Kombination von Spastik und Athetose am häufigsten vorkommt.
Kinder mit Zerebralparese haben eine Schädigung des Gehirns erlitten, die nicht fortschreitend ist (Ausnahme: einige Ataxie-Formen, vgl. Thieme & Timmann, 2023). Allerdings ist die weitere Entwicklung durch den Schaden gehemmt, sodass sich neue Bewegungsmuster nicht oder vermindert ausprägen. Das Kind muss auf frühkindliche Muster zurückgreifen, die dann zu pathologischen (krankhaften) Mustern werden. Isolierte Bewegungen, Drehen, Greifen und andere feinkoordinierte Bewegungen können nicht oder nur eingeschränkt entstehen. Mit diesen pathologischen Mustern muss sich auch der Trainer beschäftigen, da sie in der späteren Bewegungsschulung eine Rolle spielen.
Sie lassen sich unterscheiden in:
- spinale Reaktionen
- tonische Reaktionen
- assoziierte Reaktionen
Die spinalen Reaktionen sind Bewegungsmuster, die den ganzen Körper betreffen. Man unterscheidet symmetrische und asymmetrische, Beuge- und Streckreaktionen.
In diesem Zusammenhang sind v.a. die tonischen Reaktionen interessant: Die bekanntesten sind der asymmetrisch tonische Nackenreflex (ATNR) (auch „Fechterstellung“ genannt) und der symmetrisch tonische Nackenreflex (STNR).
Der ATNR wird bereits in der Schwangerschaft ausgebildet und bewirkt bspw., dass sich bei einer seitlichen Kopfdrehung Arme und Beine seitlich strecken bzw. wieder beugen, wenn der Kopf abgewendet wird. So werden Muskelaufbau und Gleichgewichtssinn bereits im Mutterlaib angeregt. Wird dieser Reflex nicht im ersten Lebensjahr wieder gehemmt, entstehen die für Zerebralparese typischen motorischen Koordinationsstörungen (insbesondere beim Überkreuzen der Körperlängsachse) aber auch die Entwicklung einer Skoliose kann hierdurch bedingt werden, weil Kompensationsmechanismen auf den gesamten Bewegungsapparat wirken.
Der STNR entwickelt sich in der Mitte des ersten Lebensjahres und wird gegen Ende dieses wieder gehemmt. Er ist verantwortlich für eine symmetrische Bewegung von Armen und Beinen, wenn der Kopf gebeugt wird. Bleibt die Hemmung des Reflexes aus, wird bspw. das Krabbeln nicht erlernt und durch andere Fortbewegungsarten ersetzt. Auch Probleme bei anderen Bewegungsgrundformen wie Rollen oder dem dosierten Krafteinsatz beim Werfen und Fangen können die Folge sein.
Assoziierte Reaktionen treten an stärker betroffenen Körperteilen auf, während weniger betroffene Körperteile Handlungen und Bewegungen ohne Einschränkungen ausführen können. Bei einem Hemiparetiker verkrampft sich z. B. die betroffene Seite, während er mit der nichtbehinderten Seite schreibt. Das gleiche gilt bei der Diparese: Im Rollstuhlsport beispielsweise greifen die (relativ frei beweglichen) Hände den Ball; es erhöht sich die Spastik der Beine, insbesondere der Tonus der Strecker, Innenrotatoren und Adduktoren. Als Folge rutschen die Füße vom Fußbrett; der Haltungshintergrund im Rumpf fehlt, das Fangen des Balles erfolgt unsicherer. Gut fixierte Füße sorgen für eine bessere Sitzposition und ermöglichen damit die Bewegungsanpassung im Rumpf.
Problematisch für die schwimmerische Ausbildung sind übermäßig starke Kopfbewegungen, die bei schweren Fällen aber Teil der Alltagsbewältigung und damit unverzichtbar sind. Sie dienen dann bspw. unterstützend der Änderung der Körperlage beim Drehen vom Bauch auf den Rücken, beim Aufsetzen oder auch beim Gehen (dann deutlich im Gangbild erkennbar). Sind Kopfbewegungen nicht Teil der Alltagsbewältigung, stellt deren Kontrolle entsprechenden den schwimmerischen Leitbildern eine wichtige Aufgabe beim Erlernen und Verfeinern der Schwimmtechniken dar.
Aufgrund der eingeschränkten, teils zwanghaften Motorik und der verzögerten Bewältigung grundlegender motorischer Entwicklungsaufgaben können sich schon früh Folgeschäden wie Gelenkverschleiß und Kontrakturen entwickeln (Pontén, 2019) – auch trotz präventiver Maßnahmen wie Therapie und sportlichen Trainings. Kontrakturen bzw. Versteifungen sind dauerhafte Funktionseinschränkungen von Gelenken, deren Sehnen, Muskeln und Bänder sich aufgrund von Fehlbelastungen aber auch normaler Beanspruchung verkürzt haben. Zielgerichtete Bewegungen und Kraftproduktion sind dann nur schwer möglich. Bei Menschen mit Zerebralparese ist die Entwicklung von Kontrakturen eng verbunden mit dem Ausmaß der Spastik (Hägglund & Wagner, 2011). Bei einer Hemiparese können Kontrakturen in allen Gelenken der betroffenen Seite auftreten, bei einer Diparese sind typischerweise die Gelenke der unteren Extremitäten betroffen. Es sollte dennoch nicht die Erwartungshaltung entwickelt werden, dass Bewegungen nur minimal oder gar nicht ausgeführt werden, sondern festgestellt werden, was tatsächlich möglich ist. Manche Menschen sind bspw. sehr wohl in der Lage, obwohl sie im Alltag auf den Rollstuhl angewiesen sind, mit Hilfe aufzustehen und ihren Rollstuhl zu schieben.
Neben den koordinativen bzw. motorischen Einschränkungen können infolge der Hirnschädigung auch weitere Einschränkungen bestehen, bspw.:
- sensorische Probleme wie Hörschäden oder visuelle Beeinträchtigungen
- intellektuelle Beeinträchtigungen
- Sprachprobleme und -störungen
- Epilepsie und Krampfanfälle
Es ist festzuhalten, dass viele Kinder mit Zerebralparese normal intelligent sind und reguläre Schulen besuchen können. Außenstehende können beim direkten Kontakt leicht einen anderen und dabei falschen Eindruck gewinnen, wenn sich das behinderte Kind bspw. nur schwer artikulieren kann oder verzögert auf äußere Reize reagiert.
[1] Eine allgemeingültige Definition und Strukturierung von zerebralen Bewegungsstörungen stellt die Forschung vor eine große Herausforderung, da sich die Behinderungen in Art und Ausprägung zwischen Personen selten gleichen (Fleiming, 2007). So wird auch in der sportwissenschaftlichen Literatur auf die Schwierigkeit hingewiesen, dass in Studien häufig Zerebralparese als Sammelbegriff für alle denkbaren Ausprägungen genutzt wird und nötige Differenzierungen fehlen (Oh & Lee, 2021).
[2] Umgangssprachlich werden Menschen mit Hemiparese oder Tetraparese auch respektvoll als „Hemis“ bzw. „Tetras“ bezeichnet.
Zum Aufenthalt im Wasser
Der Aufenthalt im Wasser mit seinen besonderen physikalischen Eigenschaften kann sich sehr positiv auf die Folgen einer Zerebralparese auswirken. Insbesondere die entspannenden physiologischen Wirkungen des Wassers auf die Spastik zur Lösung der Spannungen sind bekannt. Dabei ist auf eine Wassertemperatur zu achten, die im Anfängerschwimmen und Rehabilitationsbereich zwischen 30 und 33 Grad liegen sollte. Eine kältere Wassertemperatur würde durch den Kältereiz den Muskeltonus erhöhen und damit die Spastik verstärken. Auftretende Spastiken können die Auftriebswirkung im Körper verändern und somit die Körperzeile subjektiv „schwerer“ erscheinen lassen. In vielen Fällen gehen dann mit der Spastik auch Schmerzen einher. Das Ausmaß dieser negativen Effekte ist aber individuell sehr unterschiedlich und muss entsprechend erprobt werden.
Eine Spastik kann verstärkt bei hoher Nervosität oder Unwohlsein auftreten, bspw. in Drucksituationen wie sie im Wettkampf entstehen können. Weiterhin kann unzureichende Flüssigkeitsaufnahme bzw. Dehydrierung zur Auslösung der Spastik beitragen. Es sollte niemals versucht werden das betroffene Gliedmaß gewaltsam zu strecken, um es wieder in Normalstellung zu bringen. Die Spastik löst sich erst bei Entspannung, welche bei akutem Auftreten durch Pausen, Flüssigkeitszufuhr etc. hergestellt werden muss. Therapeutisch können Operationen der betroffenen Muskulatur im Einzelfall für Verbesserungen sorgen. Auch findet therapeutisch der Einsatz des Neurotoxins Botulin (besser bekannt als Botox) schon bei Kindern eine Anwendung (Friedman & Goldman, 2011). Im Spitzenbereich kann dieser Stoff nach vorheriger Anmeldung und bei ärztlicher Unbedenklichkeit auch akut im Trainings- und Wettkampfbetrieb genutzt werden.
Bei einer schwimmsportlichen Ausrichtung ist die Anpassung an kältere Becken unerlässlich. Stehen mehrere Becken mit unterschiedlichen Temperaturen zur Verfügung können diese im phasenweisen Wechsel für die Akklimatisierung genutzt werden. Steht nur ein kaltes Becken zur Verfügung, insbesondere im Anfängerschwimmen bzw. in der Grundausbildung, sollten kürzere Übungseinheiten und/oder Übungsphasen von z. B. 20 Minuten in Erwägung gezogen werden. Eine intensive Erwärmung an Land kann zusätzlich die Wasserzeit optimieren.
Durch den Auftrieb fällt vielen Kindern die Fortbewegung im Wasser wesentlich leichter als an Land. Allerdings werden auch höhere Ansprüche an die Koordination gestellt, da das Gleichgewicht bzw. eine optimale Wasserlage schwieriger zu halten ist. Durch den erhöhten Wasserwiderstand ist auch der Kraftaufwand höher als an Land. In vielen Fällen wird im Anfängerschwimmen der Einsatz von Schwimmhilfen unerlässlich sein, wenn keine 1:1 Betreuung möglich ist.
Die günstigen Auswirkungen eines leistungssportlichen, trainingsintensiven Lebensweges konnten Nakazawa und Kollegen (2020) kürzlich eindrucksvoll darstellen: In einer Einzelfallstudie an einer erfolgreichen Paralympionikin mit Hemiparese konnte festgestellt werden, dass die neuromuskuläre Aktivität der betroffenen Seite im Wasser in allen Belangen höher war als an Land. Auch die maximale Aktivierungsfähigkeit und damit Kraftentwicklung war dabei in vielen Muskeln höher. Zudem konnten im Wasser auch kontrollierte, koordinierte Bewegungen der eingeschränkten Seite beobachtet werden. Die Probandin begann ihre schwimmsportliche Ausbildung bereits mit sieben Jahren und steigerte ihr Trainingspensum sukzessive bis auf mehrere Stunden täglich. Die Autoren führen die positiven neuromuskulären Anpassungen dabei auf das umfangreiche Training zurück und stellen die These auf, dass leistungssportliches Schwimmtraining als geeignete Reha-Maßnahme angesehen werden könnte. Schwimmen stellt so mit seinem repetitiven Charakter in den Bewegungsausführungen und den günstigen Wirkungen des Mediums Wasser eine besonders wirksame Aktivität für Menschen mit Zerebralparese dar.
Technik & Training
Die Arbeit mit Zerebralparetikern stellt grundsätzlich eine herausfordernde, aber auch besonders lohnende Aufgabe dar. Die Vermittlung solider Schwimmtechniken erfordert dabei von Trainerinnen und Trainern sowie Sportlerinnen und Sportlern viel Anstrengung und Geduld – ein Fertigkeitsniveau, das in einer Einheit erworben wurde, kann in der nächsten Einheit bereits wieder verschwunden sein, sodass der Übungsprozess scheinbar wieder von Neuem beginnen muss. Hieraus könnte sich auch die traditionell geringe Erwartungshaltung an das schwimmerische Potential von Menschen mit Zerebralparese begründen (Green, 2010), was sich heute angesichts der möglichen Leistungsentwicklungen im Nachwuchs- und Spitzenbereich sowie hinsichtlich der relativ großen Personengruppe leicht zurückweisen lässt.
Die Schulung der beeinträchtigten Koordination und Stabilisierung neuer wie bekannter Fertigkeiten stellt somit im Trainingsprozess die übergeordnete Aufgabe dar: Schon kleinste unkoordinierte Bewegungen der Hände oder Füße wirken sich im Wasser unabhängig von einer Behinderung ungünstig über Arme, Beine und Rumpf auf Wasserlage und Schwimmgeschwindigkeiten aus. Bei Schwimmerinnen und Schwimmern mit Zerebralparese würden diese Auswirkungen umso ungünstiger sein (Grosse, 2020).
Die Anwendung klassischer Trainingsmittel und -methoden hat dabei ihre Grenzen. Insbesondere ein besonders variantenreiches Übungsangebot würde kontraproduktiv auf die Entwicklung und Stabilisierung der Schwimmtechniken wirken. Schwimmerinnen und Schwimmer mit Zerebralparese profitieren vielmehr von besonders kleinschrittigen und repetitiven Übungsanordnungen, um Kontinuität in den Bewegungsausführungen zu erlangen, die Bewegungsvariabilität zu verringern und Kompensationsbewegungen zu minimieren (Fletcher, 2021).
Abbildung 18
Tobias Niestroy (Trainer beim Berliner Schwimmteam) findet die richtigen Worte bei der Anleitung einer Athletin mit Zerebralparese:
„Das ist nicht Standard für deinen Kopf – du musst es üben, bis es Standard ist.“
Auch wenn Sportlerinnen und Sportler zusätzliche Einschränkungen der Sensorik oder Informationsverarbeitung aufweisen, ist von Seite der Trainerinnen und Trainer eine besondere Herangehensweise gefragt. Aufgrund einer veränderten Sensorik kann womöglich die Ausprägung von Wassergefühl nur schwer oder gar nicht entwickelt und wahrgenommen werden. Fortschritte beim Erwerb von Grundfertigkeiten und Schwimmtechniken sind vielleicht nur minimal oder wie zuvor erwähnt sogar zunächst als Rückschritte zu beobachten. Eine solche Bewertung sollte sich nicht an den eventuell gefestigten Erfahrungen aus der Arbeit mit Sportlerinnen und Sportler ohne Behinderung orientieren, sondern das langsamere Lerntempo von Sportlerinnen und Sportlern mit Zerebralparese berücksichtigen. Dies gilt auch hinsichtlich der Informationsverarbeitung, wenn bspw. zwischen Erklärung und Demonstration einer Übung oder Technik größere Verzögerungen vor der eigentlichen Ausführung auftreten. Hier empfiehlt sich eine ähnliche Herangehensweise wie in der Arbeit mit intellektuell beeinträchtigen Sportlerinnen und Sportlern: Instruktionen sollten präzise sein und Sportlerinnen und Sportlern muss genügend Zeit eingeräumt werden, um die Information verarbeiten zu können. Mitunter stellen verbale Instruktionen und Demonstrationen keine passenden Informationskanäle dar, wenn Sportlerinnen und Sportler durch die Behinderung bedingt nur eingeschränkt visualisieren können. Eine Bewegungsvorstellung kann dann nicht über die reine Erklärung und Demonstration entwickelt werden. Hier helfen Instruktionen über taktile Hilfestellungen: Trainerinnen und Trainer führen die Aktiven an Land oder im Wasser händisch durch die Übung, um so die Bewegung zu vermitteln. Außerdem neigen einige Sportlerinnen und Sportler mit Zerebralparese dazu in Stresssituationen sehr emotional zu reagieren und werden ausfällig oder sogar übergriffig. In derartigen Situationen sollte mit Gelassenheit und beruhigend reagiert werden, was eine schwierige Situation in der Regel auch sehr schnell wieder entschärft. Wird Sportlerinnen und Sportlern in der Stresssituation zusätzlicher Druck und Unverständnis entgegengebracht, kann hingegen eine Eskalation der Situation drohen.
Kinder mit Koordinationsstörungen können häufig nicht allein durch Zuschauen, Imitation und Gruppeninstruktionen lernen. Für sie sind detaillierte Instruktionen und Rückmeldungen nötig. Folgende Prinzipien können in der Anleitung helfen:
- Demonstrationen an Land und im Wasser vielfältig gestalten und verschiedene Informationskanäle ansprechen
- Möglichkeiten anbieten, in denen Sportlerinnen und Sportler an Land und im Wasser selbst den Bewegungsraum erkunden können
- Demonstrationen so genau wie möglich mit langsamer und präziser Ausführung (ohne irrelevante Bewegungen)
- Ergänzung der Bewegungsanweisungen durch (simple) Signal-/Stichwörter („Streck!“) und Zwei- bis Dreiwortsätzen („Kleiner Finger zuerst!“), die leicht zu merken sind
- Sportlerinnen und Sportlern die Möglichkeit einräumen Stichwörter und kurze Anweisungen zu wiederholen, um Verständnis zu entwickeln
- Feedback positiv, konstruktiv und präzise gestalten
- bei Feedback nicht einzig den Fokus auf Fehler, sondern die Zielbewegung und Anpassungsmöglichkeiten legen
- Feedback und Korrekturen umgehend vornehmen (sobald Fehler auftreten), um keine Fehler einzuschleifen
- Progression im Fertigkeitserwerb kleinschrittig gestalten (bspw. nur einen Aspekt einer Schwimmart einführen) und erst voranschreiten, wenn der Erwerb sichergestellt ist
- Teile einer Gesamtbewegung oder kombinierte Bewegungen erst isoliert und dann in Gesamtkoordination üben
- Schwimmerinnen und Schwimmer paarweise üben lassen und gegenseitig als Stichwortgeber einsetzen
- Schwimmerinnen und Schwimmer mit hohem Bedarf an Feedback sollten dicht am Beckenrand (auf der Außenbahn) schwimmen
Leserinnen und Leser mit Beckenranderfahrung werden feststellen, dass sich diese behinderungsspezifischen Hinweise kaum von denen für Nichtbehinderte unterscheiden. Das Rüstzeug für den Umgang mit Menschen mit Behinderung liegt also bei vielen erfahrenen Trainerinnen und Trainern bereits vor.
Hinsichtlich der Schwimmarten sollte zunächst immer vom Leitbild ausgegangen werden: Sportlerinnen und Sportler mit leichterer Zerebralparese können in ihren Ausführungen sehr nah an dieses heranreichen. Der Lernprozess ist dabei wahrscheinlich länger als bei Menschen ohne Behinderung. Bei schwereren Formen ist individuell festzustellen, ob einzelne Gliedmaßen anders oder gar nicht in die Gesamtbewegungen einbezogen werden sollten. Vortriebswirkung, bremsende Widerstände und Auswirkungen auf die Wasserlage stellen die entscheidenden Kriterien dar, wenn über den Einbezug entschieden wird. Alle Gliedmaßen sollten aber im Trainingsprozess angesprochen werden (bspw. in isolierter Beinarbeit mit beiden Beinen, auch wenn in der Gesamtbewegung ein Bein passiv gehalten wird). Insbesondere ein produktiver Beinschlag sollte bei allen Erscheinungsformen angestrebt werden.
Wechselseitige Bewegungen wie beim Kraul- und Rückenschwimmen sind häufig die koordinativ größten Herausforderungen für diese Gruppe, während z. B. beim symmetrischen Brustschwimmen die Koordinationsprobleme nicht so offensichtlich auftreten.
Eine typische orthopädisch-chirurgische Korrektur stellt die Fixierung der Fußgelenkswinkel bei 90 Grad dar, um im Alltag das Gehen zu erleichtern. Dies kann sich förderlich auf die Ausführung des Brustbeinschlags auswirken, aber einen Kick beim Schmetterlings-, Rücken- und Kraulschwimmen stark beeinträchtigen. Im Gegensatz dazu wäre eine Spitzfußstellung für diese drei Schwimmarten eine günstige Voraussetzung, welche das Brustschwimmen wiederum beeinträchtigen würde.
Hinsichtlich der Schwimmgeschwindigkeit empfiehlt es sich auch im Wettkampf ein gleichmäßiges Tempo anzustreben, um mögliche Koordinationsprobleme unter Kontrolle zu halten: Bei starken, abrupten Veränderungen der Schwimmtechnik, bspw. durch Erhöhung der Frequenz für einen Endspurt, ist das Auftreten von Koordinationsproblemen erwartbar, was technische Einbrüche und letztendlich auch einen Geschwindigkeitsabfall zur Folge hätte.
Anne Green (2010) hat erfahrungspraktische Einteilungen und Erkennungsmerkmale innerhalb der verschiedenen Erscheinungsformen der Zerebralparese entwickelt, die als Orientierung dienen können. In keinem Fall stellen diese eine medizinische Kategorisierung oder funktionelle Klassifizierung für das Wettkampfsystem dar! Von Generalisierungen dieser Einteilungen wird abgeraten. Bei den dargestellten Clustern sind bspw. auch Überschneidungen und Kombinationen möglich. Ausgehend von diesen Überlegungen sollen in der Folge weitere Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Diparese
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Bei der Diparese sind am häufigsten die unteren Extremitäten betroffen. Variable Koordinationsschwierigkeiten der oberen Extremitäten sind ebenso möglich. Die Bandbreite der Ausprägungen/Schwere reicht von der Fähigkeit zu gehen bis hin zur Abhängigkeit vom Rollstuhl. |
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Typ 1 |
Typ 2 |
Typ 3 |
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Alle Typen
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Land/Wasser
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Typ 1 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Typ 2 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Typ 3 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Hemiparese
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Bei der Hemiparese ist vorwiegend eine Körperseite betroffen. In Abhängigkeit des Schweregrads funktionieren die unteren Extremitäten passabel, während ein Arm stark eingeschränkt ist. Vergleichbar mit Amputation/Dysmelie beim Fehlen eines Armes oder einseitigem Fehlen von Arm und Bein. |
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Typ 1 |
Typ 2 |
Typ 3 |
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Alle Schwimmerinnen und Schwimmer mit Hemiparese haben eine besser koordinierte Seite. Ein typisches Fehlerbild beim Kraulschwimmen tritt bei der Drehung zur Atmung auf, wenn die schwächere Seite mit dem Beinschlag aussetzt und aus der Schulterlinie ausbricht. Als Korrektur bietet sich der Einsatz eines Pullbuoys in der Gesamtbewegung und isolierter Beinbewegung an: Der Pullbuoy wird zwischen den Oberschenkeln geführt und darf in der Bewegung nicht verlorengehen. Geht der Pullbuoy verloren, muss er wiedergeholt werden– ein Vorgang, der anfangs sehr häufig vorkommen kann und eventuell nicht besonders motivierend ist. Dieses Beispiel steht aber stellvertretend für die Notwendigkeit häufiger Wiederholung bzw. repetitiven Übens, um korrekte Bewegungsmuster einzuschleifen. Analog zur Kontrolle des Wechselbeinschlags kann diese Übung auch beim Delfinbeinschlag hilfreich sein, wenn wechselseitige Kicks unterbunden werden sollen.
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Typ 1 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Abbildung 19
Die Abbildung zeigt einen Sportler mit leichterer Hemiparese und Einschränkungen auf der linken Körperseite (Startklasse S8). In lockerer Haltung sind Einschränkungen in Hand und Ellenbogen sowie Bein und Fuß erkennbar ebenso wie eine resultierende Asymmetrie in der Körperhaltung. Ein breiterer Stand sorgt für mehr Stabilität. Eine möglichst gute Streamline-Position ist durch Fixierung des eingeschränkten Armes am Unterarm der Gegenseite möglich. Hierbei wird die asymmetrische Körperhaltung in der Hüftstellung noch deutlicher (eigene Aufnahmen).
Abbildung 20
Im Vergleich zur vorangegangenen Bildreihe wird hier ein Sportler mit leichter Hemiparese gezeigt, dessen Einschränkungen auf der rechten Körperseite liegen. Auch hier ist die asymmetrische Körperhaltung erkennbar, wobei Einschränkungen vor allem im Bein deutlich werden: Einschränkungen im rechten Arm sind fast nicht sichtbar, insbesondere bei der Fixierung mit der Gegenseite zur Streamline-Position (eigene Aufnahmen).
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Typ 2 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Typ 3 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Quadriparese/Tetraparese (CP Quad)
Menschen mit einer Tetraparese weisen innerhalb der Personengruppe mit Zerebralparese die stärksten Einschränkungen auf. Viele sind auf einen (elektrischen) Rollstuhl und eine Assistenz im Alltag angewiesen und weisen unwillkürliche Bewegungen auf. Es ist aber auch möglich, dass sie gehen und ihre Arme zielgerichtet bewegen können. Hinsichtlich der Schwimmbewegungen sind Ausführungen und Herangehensweisen vergleichbar mit denen von Menschen mit schwerer Querschnittlähmung.
Arm- und Beinbewegung
Da die Einschränkungen gleichermaßen Arme und Beine betreffen, muss abgewogen werden, ob in den einzelnen Schwimmarten nur die Arme oder nur die Beine eingesetzt werden sollen. Die Mehrheit der Schwimmerinnen und Schwimmer wird im Wettkampf nur mit den Armen schwimmen. Dies begründet sich vor allem durch die Unterstützung des Sehvermögens, da die Schwimmerinnen und Schwimmer ihre Ausführung parallel visuell verfolgen können. Aufgrund der Schwere der Koordinationseinschränkungen wird es erheblich schwieriger sein sowohl obere wie untere Extremitäten simultan im Wettkampf zu koordinieren. Im Anfängerschwimmen und im Trainingsbetrieb sollten aber Bewegungen aller Extremitäten angestrebt werden.
Timing der Atmung
Viele dieser Schwimmerinnen und Schwimmer haben Schwierigkeiten bei der Koordination ihrer Atemrhythmen. Dabei kann es häufig zum Schlucken von Wasser kommen. Aus diesem Grund werden diese Sportlerinnen und Sportler ihre Schwimmlagen in der Regel auf dem Rücken ausführen. Nur sehr wenige sind in der Lage die Brustschwimmtechnik oder sogar die Schmetterlingstechnik korrekt zu schwimmen.
Unwillkürliche Bewegungen und Reflexe
Sowohl unwillkürliche Bewegungen als auch Reflexe treten häufig auf, insbesondere in Kopf- und Halsbereich. Dies kann durch seitliche Bewegungen oder auch ein Nicken des Kopfes ausgelöst werden. Diese Reflexe können zu wechselseitigen/alternierenden Bewegungen führen, die beim Brust- und Schmetterlingsschwimmen zur Disqualifikation führen würden.
Im Alltag werden diese Bewegungen genutzt, um zu sitzen oder sich zu drehen, was z. T. von früher Kindheit an zielgerichtet erlernt wird. Anders als bei Schwimmerinnen und Schwimmern mit Hemiparese, Diparese, Ataxie oder Athetose können diese exzessiven Kopfbewegungen in der Regel nicht minimiert werden, was in weniger effektiven Schwimmbewegungen zum Ausdruck kommt.
Schwimmtechnik
Die typische Schwimmtechnik dieser Personengruppe stellt der Gleichschlag in Rückenlage ohne Einbezug der Beinbewegung dar, welcher in Rücken- und Freistilwettkämpfen zur Anwendung kommen kann. Die gemeinsame Koordination von Armen und Beinen kann eine große Herausforderung darstellen, weshalb abgewogen werden muss, ob der Beinschlag zur Anwendung kommen soll (bspw. zur Stabilisierung der Wasserlage, eventuell sogar zur Vortriebserzeugung). Da die Knie häufig durch Kontrakturen in gebeugter Grundhaltung bzw. nicht streckfähig sind und die Füße in fixierter Position sein können, müsste ein Beinschlag aus der Hüfte erzeugt werden und wahrscheinlich eher einem Strampeln oder Radfahren gleichen. Dieses, in der Regel bremsende Bewegungsmuster, würde sich bei einem wechselseitigen Armzug noch verstärken. Bei einem wechselseitigen Zug würde zudem die Gefahr bestehen, dass die Schwimmerinnen und Schwimmer auf die Seite oder sogar den Bauch kippen.
Daher stellt der Gleichschlag die produktivste Bewegung dar. Für einen möglichst weiten, schmalen Einsatz der Hände vor dem Kopf sollte dieser aktiv mitarbeiten, indem er beim Eintauchen und Wasserfassen zurückneigt und beim Zug und Abdruck vorneigt, bis das Kinn auf der Brust ist. Aufgrund möglicher Kontrakturen wird das Einsetzen nicht so weit möglich sein wie bei vergleichbaren Tetraplegikern mit einer Querschnittlähmung. Ein akzentuiertes Bewegungsmuster des Armzugs ist unter Wasser meist nicht zu erwarten: Durch die Einschränkungen in Ellenbogen und Hand wird der Zug vielmehr geradlinig sein. Für eine optimale Wettkampfleistung ist daher eine hohe Frequenz bei optimal günstiger Beibehaltung der Wasserlage entscheidend.
Es wird zur Aneignung weiterer Schwimmarten und Schwimmbewegungen zu einem vielseitigen und abwechslungsreichen Trainingsprozess geraten, auch wenn sich die Wettkampfform häufig auf die zuvor beschriebene Variante beschränken wird. Das Brustschwimmen ist mit beidseitigem Einsatz der Arme und geschleppten Beinen erwartbar – die starken Kopfbewegungen würden sich negativ auf den Beinschlag auswirken, was im Wettkampf unweigerlich zur Disqualifikation führt. Auch das Schmetterlingsschwimmen kann entwickelt werden. Hier bietet sich die einarmige Ausführung mit geschleppten Beinen an, da fehlende Schulterbeweglichkeit und Kontrakturen in Ellenbogen und Händen eine Rückholphase beider Arme über Wasser extrem erschweren. Der aktive Arm führt dabei mit höchstmöglicher Frequenz windmühlenartig den Zug aus. Es ist annehmbar, dass die Beine auch in geschleppter Weise durch die unwillkürlichen Bewegungen des Kopfes sowie die einarmige Ausführung wechselseitige Bewegungen ausführen, was auch hier zur Disqualifikation führen würde und diese Schwimmart somit als Wettkampfform ausschließt. Die Atmung sollte seitlich erfolgen, da der Kopf für die frontale Atmung zu weit nach oben gebracht werden müsste, was durch die fehlende Beweglichkeit im Rumpf nicht sichergestellt werden kann. Wenn die Rumpfstabilität es zulässt, kann der Körper zur weiteren Erleichterung der Atmung seitlich im 45 Grad Winkel gekippt werden, wobei das Gesicht niemals komplett untertauchen muss. Diese Form entspricht dann auch dem möglichen Stil für das Kraulschwimmen: Hier würden wechselseitige Bewegungen im Wettkampf auch nicht zur Disqualifikation führen und im Training kann der Beinschlag gezielt mitentwickelt werden.
Für Tetraplegiker, die auch die Arme nicht produktiv einsetzen können, kann die Delfinbewegung als Körperwelle eine Antriebsmöglichkeit darstellen. Sie sollte durch die Kopfbewegungen initiiert und bestmöglich über die Hüfte weitergeleitet werden. Am effektivsten wird diese Form in der Seitlage ausgeführt, wobei hier die Atmung erschwert ist. In Rückenlage wiederum ist die Atmung bei verringerter Vortriebsleistung erleichtert. Schwimmerinnen und Schwimmer mit diesem Stil und entsprechend starker Behinderung sind im internationalen Starterfeld sehr selten. Sie können jedoch enorm von dieser Bewegung im Wasser profitieren, da sie ansonsten die überwiegende Zeit im Rollstuhl verbringen und kaum Möglichkeiten haben Muskulatur zu kräftigen und Koordination zu schulen. Auch eine unabhängige Bewegung kann so unter Aufsicht im Wasser möglich werden, was eine positive Kontrasterfahrung zu den motorischen Möglichkeiten an Land darstellt.