Klassifizierung im Rollstuhlbasketball
Klassifizierung im Rollstuhlbasketball
Klassifizierung
Verfasserin (Sabine Drisch als Teilbereichsleitung Klassifizierung)
Grafiken Gregor Pleßmann/DRS
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das Klassifizierungssystem
• Die Spielberechtigung
• Der Klassifizierungsprozess
• Die Mitwirkungs- und Informationspflicht
• Das Aktionsvolumen (volume of action)
• Die Beckenstabilität
• Die Spielsituationen
Die Organe des nationalen Klassifizierungssystems
Der internationale Klassifizierungsprozess
• Phase 1 – Medizinische Beurteilung vor Beginn des Turniers
• Phase 2 – Minimal Impairment Criteria & Funktionelle Beurteilung vor Beginn des Turniers
• Phase 3 – Funktionelle Klassifizierung auf dem Spielfeld
• Die internationale Klassifizierung überschreibt die nationale Klassifizierung
Einleitung
Grundsätzlich legt das basketballspezifische Klassifizierungssystem fest, welcher Athlet im Rollstuhlbasketball berechtigt ist anzutreten und in welche Sportklasse sie eingruppiert werden.
In diesem System werden die physischen, respektive funktionellen, Kapazitäten betrachtet die einen Sportler befähigt basketballspezifische Fertigkeiten und Bewegungen auszuführen.
Der Zweck der Spielerklassifizierung ist es sicherzustellen, dass alle spielberechtigten Spieler unabhängig von ihrer individuellen Behinderung, die gleichen Möglichkeiten und Chancen erhalten, integraler Bestandteil in ihren Mannschaften zu werden.
Entwicklungen des Klassifizierungssystems:
1982 entwickelte Horst Strohkendl mit Bernard Courbariaux und Don Perriman die funktionelle Klassifizierung und löste damit die bis dahin bestehende „medizinische Klassifizierung“ ab.
Nach einer sich anschließenden rein funktionellen Klassifizierungsperiode hat sich das System seit 2021 auf internationaler Ebene zu einer inhaltlich gemischten Struktur entwickelt.
Seit Dezember 2023 ist die IWBF (International Wheelchair Basketball Federation) mit dem IPC (International Paralympic Committee) und dessen Code vollumfänglich konform.
Das Klassifizierungssystem
Eine Sportklasse ist eine von der IWBF definierte Kategorie in die Spieler eingruppiert werden. Entsprechend der physischen Kapazitäten werden Athleten in Halbpunkteschritten von Spielern mit den wenigsten physischen Funktionen bis hin zu Spielern mit den meisten physischen Funktionen eingeteilt. Hierbei reicht die Scala von 1.0 Punkten bis 4.5 Punkten.
Halbe Punkte signalisieren Fähigkeiten, die nicht eindeutig zuzuordnen sind oder nur teilweise durchgeführt werden können.
Die Spielberechtigung
Eine grundlegende Voraussetzung ist eine austherapierte, irreparable und körperliche Einschränkung/Behinderung an den unteren Extremitäten. Reine Behinderungen der oberen Extremitäten werden somit primär nicht klassifiziert. Erst nach Sicherung der Beinbehinderung werden die oberen Extremitäten in den Klassifizierungsprozess einbezogen.
Zum Zwecke der Breitensportförderung auf nationaler Ebene werden alle Sportler, die keine Behinderung, im oben aufgeführten Sinne, nachweisen können als „Nicht Behinderte“ (NB) Athleten/Spieler zum Ligabetrieb zugelassen.
Athleten, die eine „nicht sichtbare Behinderung“ haben und weder auf dem Spielfeld noch im Alltag von Sportlern ohne Behinderung zu unterscheiden sind werden als Athleten mit Minimalbehinderung bezeichnet.
Eine Sichtung und Begutachtung von medizinischen Unterlagen zum Zwecke der Feststellung der Minimalbehinderung wird seit 2022 in Deutschland in der Regel nur noch durchgeführt, wenn der Athlet an einem internationalen Wettbewerb teilnehmen möchte.
Eine Ausnahme liegt vor, wenn Spieler unter 18 Jahren, ohne sichtbare Behinderung, einen Jugendbonus erhalten wollen. In diesem Fall muss weiterhin ein Antrag auf Minimalbehinderung gestellt werden. Bei Unklarheiten in Bezug auf die Spielberechtigung steht es der Klassifizierungskommission frei, für jeden Athleten, unabhängig von der beantragten Klasse, medizinische Befunde einzufordern.
Der nationale Klassifizierungsprozess
Möchte ein Verein einen neuen Spieler für den Ligabetrieb melden, so ist durch einen Vereinsvertreter ein Antrag auf Erst-Klassifizierung einzureichen. Hier ist es wichtig, eine Diagnose und Begründung für die vorgeschlagene Punkteklasse zu formulieren. Fehlt diese Begründung, kann der Antrag als unvollständig zurückgewiesen werden.
Der Antrag (Anlage 8 und Anlage 6) ist per E-Mail an das Klassifizierungsbüro und an das Liga Büro zu übersenden. Ist der Antrag korrekt ausgefüllt und bestehen keine weiteren Unklarheiten, so darf der Spieler mit der vorgeschlagenen Punkteklasse und der vom Liga Büro ausgestellten „Tischvorlage“ in den Ligabetrieb starten.
Baldmöglichst wird ein Mitglied der Klassifizierungskommission zu einem Spieltag entsandt, um den zu klassifizierenden Spieler zu beobachten und abschließend eine Punkteklasse festzulegen. Während des Klassifizierungsprozesses hat der Spieler idealerweise bereits einen eigenen Sportrollstuhl und spielt mit den individuellen erforderlichen Hilfsmitteln (Orthese/Prothese/Strapping).
Das Strapping allein beeinflusst die Vergabe der Punkte nicht, da das Hilfsmittel zur individuellen Sicherheit dient. Als Ausnahme gelten „Doppelt-Unterschenkelamputierte“ (4.0). Spielen diese mit stabilisierenden Hilfsmitteln (z.B. Prothese/Verankerung am Sportstuhl) so verändert sich die Klassifizierung nach oben (4.5).
Die Klassifizierung findet während eines Ligaspiels statt. Damit soll gewährleistet werden, dass der zu klassifizierende Athlet sich auf das Spielgeschehen statt auf die Klassifizierung konzentriert.
Allgemein kann für Spieler, auch langjährig zugehörige, ein Protestantrag gestellt werden, um deren Klassifizierung überprüfen zu lassen. Gegen die Entscheidung aus einem Protestantrag kann innerhalb von vier Wochen Revision eingelegt werden.
Anmerkung: Untersuchungen durch den Klassifizierer sind nicht erforderlich und können durch den Spieler nicht beantragt oder eingefordert werden.
Neutralität, Mitwirkungs- & Informationspflicht
Das System der Athletenklassifizierung soll vor allem zu einem fairen Wettbewerb und zur Chancengleichheit beitragen. Voraussetzung für eine faire Klassifizierung ist die Neutralität aller am Klassifizierungsprozess Beteiligten wie z.B. der Spieler, Trainer und Klassifizierer. Insbesondere besteht eine Mitwirkungs- und Informationspflicht. Die Antragssteller müssen alle benötigten Unterlagen einreichen und die Athleten sind aufgefordert ihre maximalen funktionellen Leistungen vollumfänglich zu zeigen. Allein die körperlichen Fähigkeiten, Fitness, Kraft, Ausdauer, taktisches Geschick und mentale Stärke entscheiden somit über Sieg oder Niederlage.
Es sei darauf hingewiesen, dass unkorrekte Angaben oder eine Täuschung der eigenen Fähigkeiten zu Konsequenzen führen kann bis zu einer längeren Sperre des Athleten oder Ausschluss der an dem Betrug Beteiligten.
Idealerweise sind sowohl der Spieler, der Teamverantwortliche/Trainer, eventuell die Eltern und im Vorfeld der behandelnde Arzt in den Prozess des Klassifizierungsvorgangs einzubinden.
Gibt es Unklarheiten bezüglich medizinischer Diagnosen wird ein Ärzteteam zu Rate gezogen.
Ohne die Mithilfe des Spielers und aller Beteiligten im Spielbetrieb ist es nicht möglich eine faire Klassifizierung zu erreichen und somit auch im internationalen Vergleich zu bestehen.
Der Verein/Trainer ist verantwortlich für die Integration aller Spieler. Die Selbstregulation ist gewährleistet durch eine maximale Punktzahl (14.0/14.5) auf dem Spielfeld.
Der dreidimensionale Bewegungsraum - (volume of action)
Jede Klasse hat einen definierten Bereich des geforderten und möglichen Aktionsradius.
Der Aktionsradius wird bestimmt durch die Fähigkeit den Oberkörper zu bewegen/halten ohne Stabilität zu verlieren, Gegenbalancieren zu müssen oder die Hände, z.B. zum Abstützen, einzusetzen.
Am deutlichsten lässt sich dies bei beidhändigem Ballkontakt beobachten und die Bewegungen müssen aktiv durchführbar sein (z.B. Vorwärtsebene).

Für die Ermittlung der Aktionsradien werden 3 Ebenen betrachtet:
• Vertikalebene (vertical plane)
Aktives Drehen des Schultergürtels (Rotation) nach rechts und nach links

• Vorwärtsebene (forward plane)
Vorbeugen und Aufrichten des Rumpfes (Oberkörper)

• Seitebene (sideways plane)
Seitneigen des Oberkörpers nach rechts und nach links unter Beibehaltung eines aufrechten Rumpfes

Die Beckenstabilität
Die Beckenstabilität und die daraus resultierende Sitzposition gibt einen Hinweis auf die mögliche Klasse.
Bei Spielern ohne Beckenstabilität und geneigter Sitzposition resultiert oft eine Klasse im Bereich 1.0 – 2.5.
| Im Gegenzug dazu erreichen Spieler mit Beckenstabilität eine Klasse zwischen 3.0 und 4.5 Punkten.
|
Die Spielsituationen
Folgende aktive Aktionen werden beurteilt in Bezug auf die oben genannten Ebenen.
• Breaking Bremsen
• Pushing Fahren/Antreiben des Rollstuhls
• Pivoting Richtungswechsel
• Dribbling Dribbeln
• Passing Passen
• Catching/Receiving Fangen
• Shooting Werfen
• Rebounding Rebounden
• Contact Kontaktsituationen
Die Organe des nationalen Klassifizierungssystems
Neben einer Büroleitung und der Vorsitzenden des Teilbereiches Klassifizierung im Geschäftsbereich Sport wird das Organ durch Klassifizierer und ein Ärzteteam ergänzt. Die Klassifizierung findet durch den Teilbereich und deren ausgebildete ehrenamtliche Mitglieder statt. Durch jährliche Fortbildungen und auch der Möglichkeit an internationalen Ausbildungen teilzunehmen soll die Qualität der Arbeit der Klassifizierer gesichert werden. Die Ausbildung und Weiterentwicklung wird durch den Fachbereich Rollstuhlbasketball/Geschäftsbereich Sport durchgeführt und überwacht.
Durch die Ausbildung internationaler Klassifizierer besteht ein enger Austausch und Kontakt mit dem internationalen Verband (IWBF).
Gefördert wird dieses Verfahren durch den DBS als Dachverband.
Der Internationale Klassifizierungsprozess
Mit der Europameisterschaft 2021 wurde von der IWBF ein überarbeitetes, dem Klassifizierungscode des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) angenähertes Klassifizierungssystem eingeführt. Da dieses veränderte, in 3 Phasen gegliederte, Klassifizierungssystem mittlerweile auf internationaler Ebene etabliert ist, behält sich der Teilgeschäftsbereich Klassifizierung vor, den nationalen Prozess an dieses System anzupassen.
Phase 1 – Medizinische Beurteilung vor Beginn des Turniers (ca.3 Monate)
In der ersten Phase prüft die IWBF anhand der eingereichten Unterlagen, ob eine durch das IPC anerkannte Erkrankung vorliegt, welche zu einer Teilnahmeberechtigung (Eligibility) im internationalen Spielbetrieb führt. Es werden medizinische Diagnosen mit den entsprechenden Unterlagen gefordert, welche eine dauerhafte, austherapierte und irreparable Behinderung der unteren Extremitäten bestätigen (z.B. Amputation/Querschnittlähmung).
Die Unterlagen und Anträge werden nach Sichtung und bei Annahme auf Erfolg durch die Klassifizierungskommission weitergeleitet an die „National Wheelchair Basketball Organization“ (NOWB), in diesem Fall der Deutsche Behindertensportverband (DBS). Anschließend werden die Unterlagen beim Weltverband (IWBF) eingereicht.
Eine direkte Kontaktaufnahme durch Athleten und Betreuer mit der IWBF ist nicht zulässig.
In Fällen, in denen die Erfüllung der Minimalbehinderung, der sogenannten „Minimal Impairment Criteria“ (MIC) fragwürdig erscheint, ist im Vorfeld der nationale Prozess der Minimalbehinderung zu durchlaufen. In diesem Fall werden die medizinischen Unterlagen durch das Ärzteteam gesichtet und auf Erfolg geprüft.
Durch die Ausbildung internationaler Klassifizierer besteht ein enger Austausch und Kontakt mit dem internationalen Verband, sodass aktuelle Veränderungen im Klassifizierungsprozess aufgenommen und umgesetzt werden können, ohne dass Informationen verloren gehen.
Aus den vom IPC anerkannten Diagnosen/Erkrankungen ergeben sich körperliche Beeinträchtigungen.
Diese für die Teilnahme am Rollstuhlbasketball zulässigen Beeinträchtigungen, die sogenannten „Eligible Impairments“, sind:
Eligible Impairment
|
Körperliche Beeinträchtigung |
Testmodule |
Impaired muscle power (IMP)
|
Reduzierte Muskelkraft |
MMT / Janda / ASIA |
Impaired passive range of movement (IPROM) | Reduzierte passive Gelenkbeweglichkeit | Messung durch Goniometer in Grad-zahlen |
Limb deficiency
| Gliedmassendefekte (angeboren oder erworben z.B. Amputation) | Foto des Spielers mit seiner Amputation |
Leg length difference
| Beinlängendifferenz | Messung in cm (>6cm) |
Hypertonia
| Hypertonie (Zentrales Nervensystem z.B. Cerebralparese) | Ashworth Scale |
Ataxia | Gangunsicherheit durch Koordinationsprobleme und Gleichgewichtsstörungen (z.B. Hemiplegie) | SARA Scale Scale of Assessing and Rating Ataxia |
Athetosis | Unwillkürliche, sich langsam abspielende ausfahrende Bewegungen von Händen oder Füßen | DIS Scale Dyskinesia impairment scale |
Beispiele klassifizierbarer Behinderungen: Querschnittlähmung, Spina bifida, Amputation, CP etc.
Beispiele nichtklassifizierbarer Behinderungen: Seh- und Hörbehinderungen, psychische/geistige Behinderungen, Herz und Kreislauferkrankungen, Epilepsie, Schmerzen etc.
Reine Behinderungen der oberen Extremitäten werden auch international primär nicht zugelassen. Erst nach Sicherung der Beinbehinderung werden die oberen Extremitäten in den Klassifizierungsprozess einbezogen.
Phase 2 a/b – Kriterien einer Minimalbehinderung/MIC (Minimal Impairment Criteria) & Funktionelle Beurteilung vor Beginn des Turniers
Mit der Anerkennung der „Eligibility“ in der ersten Phase hat der Athlet die generelle Teilnahmeberechtigung an IPC/IWBF-Events erhalten.
Die zweite Phase (2a) findet unmittelbar vor einem Turnier, vor Ort statt und beginnt mit der Überprüfung der rollstuhlbasketball-spezifischen Minimalbehinderung, der sogenannten „Minimal Impairment Criteria“ (MIC). Die Athleten werden dabei von medizinisch geschulten Klassifizierern der IWBF körperlich untersucht; in Anwesenheit eines vom Spieler bestimmten Betreuers (Trainer/Mitspieler o.ä.). Jeder Athlet muss diese Phase durchlaufen.
Die geforderten Kriterien können im Klassifizierungshandbuch der IWBF auf deren Homepage eingesehen werden.
Ist der medizinische Teil der Phase 2 und damit das Erfüllen der MIC und das Erlangen der Spielberechtigung erfolgreich absolviert, schließt sich mit dem Klassifizierungstraining der funktionelle Teil dieser Phase (2b) an. Hier gelten die gleichen Regeln, wie in der nationalen Klassifizierung. In diesem Teil der Phase 2 entscheidet sich, mit welcher Klassifizierung der Athlet in das Turnier startet.
Phase 3 – Funktionelle Klassifizierung auf dem Spielfeld
Die sich anschließende funktionelle Klassifizierung, in Phase 3, findet wie bisher auf dem Spielfeld statt. Dies unterscheidet sich nicht von der nationalen Klassifizierung. Nach jedem Vorrundenspiel darf die Klassifizierung, des neuen Athleten, durch das „Panel der IWBF Klassifizierer“ angepasst werden. Befindet das Panel während der Überkreuzspiele, dass eine Klassifizierung nicht den körperlichen funktionellen Einschränkungen entspricht, darf diese trotzdem erst zum Ende des Turniers verändert werden.
Die internationale Klassifizierung überschreibt die nationale
Hat ein Spieler eine internationale Klassifizierung erhalten und unterscheidet diese sich von der nationalen, so wird die internationale Entscheidung automatisch in den nationalen Spielbetrieb übernommen. Die Spieler, die Nationaltrainer oder die Mannschaftsverantwortlichen sind für die Weitergabe der Entscheidung, an das Liga Büro im nationalen Fachverband, verantwortlich.
Ein Protest gegen die bestehende internationale Klassifizierung kann erst bei einem erneuten internationalen Einsatz angestrebt werden.
Ein nationaler Protest gegen diese Klassifizierung ist nicht möglich.
Eine Ausnahme liegt vor, falls ein Spieler mindestens 2 Jahre nicht mehr am internationalen Spielbetrieb teilgenommen hat und dies durch Unterschrift bestätigt. Dann darf gegen die internationale Klassifizierung auf nationaler Ebene ein Protest eingelegt werden. Sollte er erneut international aktiv werden, tritt automatisch sowohl international als auch national die alte Klassifizierung wieder in Kraft.
Alle nationalen Unterlagen oder Antragsformulare sind zu finden unter:
www.rollstuhlbasketball.de/downloads
Alle internationalen Unterlagen oder Formulare sind zu finden unter:
How To Submit A Player For Assessment Of An Eligible Impairment? - IWBF - International Wheelchair Basketball Federation

