Rückenmarksverletzungen
Überblick
Die Sinneszellen im menschlichen Körper nehmen Veränderungen z. B. auf der Haut, in den Organen oder den Muskeln wahr und transportieren diese über das Rückenmark an die Muskeln, Organe u.a. weiter. Werden diese Bahnen z. B. im Bereich des Rückenmarks unterbrochen, ist die Befehls- und Wahrnehmungsübermittlung gestört. Hautbereiche, Drüsen oder auch Muskeln werden gefühllos, Bewegungen können nicht mehr so ausgeführt werden, wie vorgesehen. Bei Durchtrennung des Rückenmarks fallen die meisten Organfunktionen unterhalb der geschädigten Stelle aus. Die Segmentlehre zeigt, welche Ausfälle bei welcher Schädigung ungefähr zu erwarten sind.
Hierbei werden zwei wesentliche Gruppen innerhalb der Querschnittlähmung in Abhängigkeit der Schädigungsstelle unterschieden: Bei einer Paraplegie liegt die Schädigung des Rückenmarks auf Höhe der Brust- oder Lendenwirbelsäule, bei einer Tetraplegie auf Höhe der Halswirbelsäule. Bei einer Paraplegie sind die unteren Extremitäten (beide Beine) und Teile des Rumpfes von der Lähmung betroffen. Der Paraplegiker stellt den „klassischen“ Rollstuhlfahrer mit Querschnittlähmung dar. Bei einer Tetraplegie sind zusätzlich die oberen Extremitäten (beide Arme) betroffen. Mit steigender Höhe der Lähmung sind immer mehr Muskeln der Arme betroffen. Darüber hinaus können Schädigungen komplett oder auch nur teilweise (inkomplett) erfolgt sein.
In Deutschland wird von einer Häufigkeit von zwei bis fünf Fällen pro 100.000 Menschen im Jahr ausgegangen. In ca. 70% aller Fälle sind Unfälle die Ursache für die Behinderung, wobei mit über 80% hauptsächlich Männer unter dem 40. Lebensjahr betroffen sind. Etwa 60% aller Betroffenen weisen eine komplette Querschnittlähmung auf und ca. 80% der Menschen mit Rückenmarksverletzungen sind auf einen Rollstuhl angewiesen (Ahn, Lee & So, 2021).
Bei einer kompletten Schädigung ist keine willkürliche Kontrolle über Funktionen unterhalb der Verletzung mehr möglich. Wenn zum Beispiel ein Bruch des siebten. Halswirbels mit vollständiger Durchtrennung des Rückenmarks vorliegt, kann bei der Person eine intakte Nackenmuskulatur und eigenständige Atmung erwartet werden. Sie wird jedoch eingeschränkt oder gar keine Kontrolle über die Arme besitzen und auch die Finger werden bis auf den Daumen wahrscheinlich völlig empfindungslos sein. Darüber hinaus sind alle Muskeln und Hautpartien unterhalb des Schultergürtels gefühllos. Durch die Lähmungshöhe werden auch die verschiedenen Formen der Querschnittlähmung unterschieden. Hierbei wird jeweils das letzte intakte Rückenmarksegment genannt: Lähmung bei Th12 bedeutet, dass dieses Segment intakt ist.
Bei einer inkompletten Schädigung bleibt die willkürliche Kontrolle teilweise erhalten, sodass der Grad der Einschränkung eine hohe Variabilität aufweisen kann: Menschen mit inkompletter Querschnittlähmung sind u. U. in der Lage zu gehen (in der Regel mit Gehhilfen) oder haben nur minimal wahrnehmbare Einschränkungen der Handgelenke und Hände. Hinsichtlich des Gehens konnten in den vergangenen Jahren große therapeutische Fortschritte gemacht werden, sodass die Wiederherstellung dieser Fähigkeit heute sogar für Menschen mit kompletter Querschnittlähmung erreichbar ist (Scivoletto et al., 2014; Gill et al., 2018).
Neben offensichtlichen motorischen Funktionsverlusten bzw. -einschränkungen können bei allen Formen der Querschnittlähmung auch physiologische und sensorische Folgen auftreten, deren Wechselwirkungen mit einem leistungssportlichen Training im Wasser unbedingt berücksichtigt werden müssen. Hierzu gehören u.a.:
- Verlust von Sinneseindrücken/Sensorik
- Muskelschwund/Atrophie
- Kontrollverlust über Magen-Darm-Funktionen
- Verlust der Fähigkeit die Körpertemperatur zu kontrollieren (Fähigkeit zu schwitzen)
- verringerte Fähigkeit die Herzfrequenz zu erhöhen
- Beeinträchtigungen des Blutkreislaufes
- veränderter Muskeltonus (spastische oder schlaffe Lähmungen)
Eine autonome Dysreflexie bezeichnet einen gefährlichen Zustand von Bluthochdruck bei Menschen mit Rückenmarkverletzung. Auslöser sind häufig eine volle Blase oder ein voller Darm, aber auch schmerzhafte Reize (bspw. ein eingewachsener Zehennagel) können ursächlich sein. Bei den Betroffenen kann sich dies in starken Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen und Krampfanfällen äußern – der ursächliche Schmerz wird nicht wahrgenommen. Da mit diesem Zustand auch eine Adrenalinausschüttung und kurzzeitige Erhöhung der Leistungsfähigkeit einhergehen gehen kann, wird er von Para Sportlerinnen und Para Sportlern teilweise gezielt herbeigeführt, wovon dringend abzuraten ist, da bei steigendem Blutdruck eine sogenannte hypertensive Krise und damit Lebensgefahr droht! Sind Darm oder Blase für den Zustand verantwortlich, sollten diese sofort entleert werden, was häufig zur Besserung führt. Andernfalls ist umgehend ärztliche Hilfe herbeizuziehen.
Spastik
Eine Spastik (auch spastische Lähmung) tritt infolge der Schädigung des Rückenmarks auf, wenn Nerven für die Kontrolle von willkürlichen Bewegungen verletzt wurden. In der Folge steigt der Muskeltonus in der betroffenen Region an, die Beweglichkeit wird eingeschränkt und Gelenke können sich bis hin zu einer dauerhaften Kontraktur versteifen. Analog zu den Beschreibungen der Erscheinungsformen der Querschnittlähmung wird von einer Paraspastik gesprochen, wenn beide Beine betroffenen sind. Sind beide Beine und Arme betroffen, handelt es sich um eine Tetraspastik – hier können auch Hals- und Rumpfmuskulatur betroffen sein, was Einschränkungen der Atmung zur Folge haben kann.
Häufigkeit und Ausprägung einer Spastik können individuell sehr unterschiedlich sein. So kann die unwillkürliche Muskelaktivität bspw. eine Beuge- oder Streckreaktion auslösen. Eine Streckreaktion in den Knien wäre eine für das Schwimmen günstigere Ausprägung, da hier dagegen ein förderlicher Beitrag für die Wasserlage zu erwarten wäre. Im Unterschied zu vergleichbar eingeschränkten Personen mit Zerebralparese haben Menschen mit einer Rückenmarksverletzung teilweise Einfluss auf die Spastik und können sie bedingt steuern (bspw. ist die Auslösung durch Kopfbewegungen bei Tetraplegikern bekannt), was durch operative und medikamentöse Maßnahmen unterstützt werden kann. Neben einer verbesserten Wasserlage kann die durch die Spastik ausgelöste Muskelaktivität auch Muskelschwund (Atrophie) entgegenwirken bzw. dessen Umfang reduzieren. Gleichsam sind auch gegenteilige Effekte möglich, bspw. ein Gefühl „schwerer“ Beine und deren Absinken oder die zuvor genannten Beugereaktionen. Hinsichtlich der Wasserlage wird beim Auftreten jedweder Form eine Anpassung und Steuerung über die Kopfposition nötig sein. Die Ausprägungen einer Spastik, die mögliche Kontrolle und Nutzung oder auch Eindämmung muss individuell ermittelt werden. Dabei ist zu beachten, dass das Auftreten auch bei förderlichen Effekten mit Schmerz einhergehen kann, was der Nutzbarmachung ggf. Grenzen setzt.
Eine Spastik kann auch bei hoher Nervosität oder Unwohlsein auftreten, bspw. in Drucksituationen wie sie im Wettkampf entstehen können. Außerdem kann unzureichende Flüssigkeitsaufnahme zur Auslösung der Spastik beitragen. Es sollte niemals versucht werden das betroffene Gliedmaß gewaltsam zu strecken, um es wieder in Normalstellung zu bringen. Die Spastik löst sich erst bei Entspannung, welche bei akutem Auftreten durch Pausen, Flüssigkeitszufuhr etc. hergestellt werden muss. Im Spitzenbereich kann das Neurotoxin Botulin (besser bekannt als Botox) nach vorheriger Anmeldung und bei ärztlicher Unbedenklichkeit auch akut im Trainings- und Wettkampfbetrieb genutzt werden (vgl. Kumar et al., 2016).
Flüssigkeitszufuhr
Menschen mit Rückenmarksverletzung sind in ihrer Thermoregulation einschränkt, d.h. ihre Fähigkeit zu schwitzen sowie die Wärmeleitfähigkeit sind eingeschränkt oder fehlen komplett. Bei starker körperlicher Aktivität und/oder sehr warmen Umgebungsbedingungen drohen somit Dehydrierung, Überhitzung oder sogar ein Schlaganfall[1]. Hinsichtlich schwimmsportlichen Trainings (Aktivität) und den dabei typischen Umgebungsbedingungen in Hallen- und Freibädern (Hitze) sind regelmäßige Flüssigkeitszufuhr und eventuell kühlende Maßnahmen dringend angeraten. Kühlung kann im Training durch das umgebende Wasser weitestgehend sichergestellt werden. Bei längeren Aufenthalten an Land (bspw. an Wettkampftagen) sollten zusätzliche Maßnahmen erprobt werden, die einfach in der Umsetzung sind und vorrangig für Wohlbefinden sorgen. Hierzu gehören kalte Umschläge und Sprays mit Wasser, wobei beim Besprühen ein beständiger Luftstrom (bspw. mit einem Ventilator oder nahe einer Lüftung) sichergestellt werden sollte, um die Verdunstung des „künstlichen Schweißes“ zu gewährleisten (Pritchett et al., 2020).
Bei der Flüssigkeitszufuhr sollte eine individuelle Planung entwickelt werden, wann und wie viel Flüssigkeit welcher Art zu sich genommen werden sollte, wobei das Anforderungsprofil der Aktivität (Training Wasser oder Land, Wettkampf, Alltag), die Auswirkungen der Behinderung und die Schwitzrate die Planungsgrundlagen darstellen (Kenefick, 2018). Daraufhin abzuwarten bis der Durst eintritt, ist grundsätzlich nicht anzuraten, da zu diesem Zeitpunkt bereits die Dehydrierung weit fortgeschritten ist und Leistungseinbußen zu erwarten wären.
Menschen mit Rückenmarksverletzungen können dazu neigen gezielt weniger zu trinken, um aufwendige Toilettengänge zu reduzieren (Maxwell & Webborn, 2020), wovon unbedingt abzuraten ist. Die Sicherstellung, ggf. häufiger, Toilettengänge sollte Teil der Vorüberlegungen und Strategie sein. Dies betrifft vor allem die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit der sanitären Anlagen, ggf. zusätzliche personelle Ressourcen und den nötigen Zeitaufwand bzw. definierte Zeitfenster: rollstuhl-/behindertengerechte sanitäre Anlagen gehören zwar mittlerweile zum Standard in modernen Schwimmbädern, können aber schwerlich den Bedarf abdecken, der entsteht, wenn bei Wettkämpfen viele Nutzerinnen und Nutzer auf sie angewiesen sind, sodass lange Wartezeiten entstehen können.
[1] Menschen mit Rückenmarksverletzungen sind signifikant häufiger von Schlaganfällen betroffen als Nichtbehinderte, was neben Aspekten der Thermoregulation vor allem auch mit Beeinträchtigungen des Blutkreislaufes zusammenhängt (Wu et al., 2012).
- Sportlerinnen und Sportler sollten jederzeit Flüssigkeit mit sich führen. Am besten in einer eigenen Flasche, die klar von den Flaschen anderer Sportlerinnen und Sportler zu unterscheiden ist.
- Eine zu große und zu schnelle Flüssigkeitsaufnahme kann Magenbeschwerden und häufige Toilettengänge verursachen. Gewohnte (trainierte) Trinkgewohnheiten sollten beibehalten bleiben.
- Die Kühlung der Hände kann Überhitzung vorbeugen, aber auch motorische und sensorische Funktionseinbußen verursachen. Der Fokus sollte besser auf der Kühlung inaktiver Körperteile liegen.
- Sportgetränke liefern Energie, zu viele Kohlenhydrate können für den Körper hinderlich sein, die thermische Balance in heißen Umgebungen beizubehalten.
- Wasser allein ist nicht ideal für die Flüssigkeitszufuhr – einige Nährstoffe und Elektrolyte (bspw. in stark verdünnten Säften oder leicht gezuckerten Tees) helfen dem Körper bei der Flüssigkeitsaufnahme und stellen wieder Energie zur Verfügung.
- Die Flüssigkeitszufuhr sollte basierend auf dem Anforderungsprofil der Aktivität (Training, Wettkampf, Alltag), der Behinderung und der Schwitzrate geplant und geübt werden. Zusätzliche Maßnahmen zur Kühlung können ggf. eingearbeitet werden.
Zum Aufenthalt im Wasser
Der Bewegungsraum Wasser bietet Menschen mit Rückenmarksverletzungen hervorragende Eigenschaften, die auch häufig in Reha und Therapie genutzt werden: Bei warmem Wasser und moderater Aktivität kann es zu einer Lockerung der Spastik kommen, Zwangsstellungen in Gelenken lösen sich und alle verfügbaren motorischen Funktionen können eingesetzt werden, um bspw. bestehende Asymmetrien auszugleichen. Viele Rollstuhlfahrerende können so im Wasser einen Grad an Autonomie erleben, den sie im Alltag an Land nicht erfahren. Die Schwimmfähigkeit erlaubt es außerdem auch andere (paralympische) Sportarten für sich zu erschließen (z. B. Rudern, Kanu, Segeln).
Gleichsam ist der Zugang mit einigen räumlichen und organisatorischen Herausforderungen versehen. Für einen Aufenthalt im Wasser für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer sind organisatorische Grundvoraussetzungen notwendig. Das Bad einschließlich der Sanitäranlagen muss selbstverständlich rollstuhlgerecht sein, aber schon beim Einstieg ins Wasser können sich erste Probleme ergeben, wenn ein hydraulischer Lift notwendig ist, um Sportlerinnen und Sportler aus dem Rollstuhl zu befördern. Hier ist häufig personelle Hilfestellung nötig und einzuplanen (vgl. Anhang Empfehlungen zum Heben und Verlagern).
Das Auslegen einer Schaumgummimatte oder eines einfachen Schwimmbretts ist Voraussetzung für viele Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, die sich selbst aus dem Rollstuhl auf den Boden begeben können, um ins Wasser zu gelangen. Vielfach wird auch der hohe Zeitaufwand für das Umziehen als Hemmnis beschrieben. Im Einzelfall muss auch vom Grundsatz abgewichen werden, dass die Leitung vom Beckenrand aus unterrichtet, um helfend oder unterstützend anfassen zu können. Das bedeutet zusätzliches Personal, das entsprechend sensibilisiert sein muss. Bei Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern, die auf einen Katheter angewiesen sind, kommen hygienische Herausforderungen sowie die harntreibende Wirkung des Wassers hinzu, was ggf. häufigere und aufwendige Toilettengänge verursacht.
Problematisch können auch offene Wunden sein, da durch den gestörten Blutkreislauf die Heilungsdauer von kleineren Verletzungen länger dauern kann. Im Wasser können derartige Wunden typischerweise entstehen, wenn im (Flach-)Wasser die Füße zum Beckenboden sinken oder an Beckenkanten treffen. Im Anfängerschwimmen ist hier das Tragen von dünnen Socken ratsam. Offene Wunden sollten grundsätzlich komplett abheilen bevor wieder im Wasser geübt wird, andernfalls drohen Infektionen, Geschwüre und damit längerfristige Ausfälle. Einige Sportlerinnen und Sportler haben auch aufgrund von operativen Eingriffen bestehende Wunden, die durch den regelmäßigen Aufenthalt im Wasser niemals komplett heilen würden. In solchen Fällen sollte ärztlicher Rat eingeholt werden bzw. ärztlichen Verordnungen gefolgt werden, wie lang und häufig ein Aufenthalt im Wasser möglich ist.
Technik & Training
Für gehende Sportlerinnen und Sportler mit Rückenmarksverletzung gelten bei der Technikvermittlung zunächst keine Abweichungen von den Leitbildern, wobei Auswirkungen auf die Wasserlage (bspw. größerer Anstellwinkel) erwartbar sind. Die Ausprägungen der verbleibenden Funktionen in Beinen und Rumpf können sehr vielfältig sein, sodass eine Abwägung über die Zielformen individuell erfolgen muss: Bei sehr leichten Einschränkungen in Beinen und Rumpf sind Ausführungen nahe am Leitbild denkbar inklusive eines produktiven Beinschlags. Möglichweise sollte der Beinschlag auch nur stabilisierend arbeiten oder ganz aussetzen, wenn durch ihn höhere Widerstände und eine geringere Schwimmgeschwindigkeit entstehen. Auslöser hierfür können z.B. Spastiken sein oder ungünstige Gelenkwinkel.
Die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Funktionen und die Entwicklung vielfältiger Fertigkeiten sollte im Training unabhängig von deren Brauchbarkeit im Wettkampf vorangetrieben werden, um Monotonie und Überlastungen zu verhindern: Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer (und auch viele Sportlerinnen und Sportler mit Rückenmarksverletzung, die nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind) werden sich im Alltag und Sport vorrangig mit den Armen fortbewegen. Überlastungen und Beschwerden der Schultern stellen daher ein besonderes Risiko dar. Die Prophylaxe von Schulterbeschwerden durch Kräftigung der Rotatorenmanschette ist somit ebenso bedeutsam wie die Abstimmung auf Trainingsinhalte im Wasser (Burkett, 2011).
Durch den überwiegenden Aufenthalt im Rollstuhl sind außerdem Kontrakturen der Hüfte möglich, d.h. die Hüfte versteift in ihrer Sitzposition bei etwa 90 Grad. Im Wasser kann diese Haltung dann nur schwer aufgelöst werden. Insbesondere auf dem Bauch, wenn die Beine absinken, entsteht so extremer Frontalwiderstand bzw. eine ungünstige Wasserlage. Die Streckung der Hüfte sollte daher täglich als Präventionsmaßnahme erfolgen. Im Training kann dies bereits vorbereitend an Land in die Erwärmung bzw. Mobilisation integriert werden und im Wasser bieten sich vorbereitend einfache Schwebeübungen in der Rückenlage an, in der die Beine leichter in eine gestreckte Position kommen sollten. Als unterstützende Maßnahme kann im Wasser außerdem ein zwischen den Oberschenkeln fixiertes Pullbuoy eingesetzt werden (vgl. Abb. 22), das die Beine auftreiben lässt und eine Streckung in Hüfte und Knien ermöglicht. Viele Schwimmerinnen und Schwimmer mit Rückenmarksverletzung nutzen dieses Hilfsmittel regelmäßig und in großem Umfang: Ähnlich wie Nichtbehinderte können sie so den Fokus leichter auf die für den Vortrieb entscheidende Armbewegung legen und hier bspw. technische Aspekte bearbeiten. Mit Paddles können technische Schwerpunkte zusätzlich akzentuiert oder konditionelle Reize verstärkt werden. Der Einsatz eines Schnorchels kann die Wasserlage zusätzlich stabilisieren und den Fokus verschärfen, da bei eingeschränkter Rumpffunktion die Rotation zur Atmung problematisch sein kann (u. U. bis zum Kippen auf den Rücken).
Auch wenn viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Komplexität für den Schwimmer hinsichtlich der Wasserlage zu verringern, sollte immer bedacht werden, dass im Wettkampf keinerlei Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Die Kontrolle der Wasserlage in Bauch- und Rückenlage, die Ausführung der Schwimmbewegungen, Rotationsbewegungen (z. B. der Atmung auch bei eingeschränkter Rumpffunktion) etc. sollten demnach Bestandteil in jeder Trainingseinheit sein, damit keine Abhängigkeit zu den Hilfsmitteln entsteht.
Abbildung 22
Verbesserte Wasserlage für Sportlerinnen und Sportler mit Rückenmarksverletzung durch fixiertes Auftriebsmittel (Burkett, 2011).
Im Alltag greifen Menschen mit Rückenmarksverletzungen auf das Prinzip sogenannter Trickbewegungen zurück, was auch für die Realisierung produktiver Schwimmbewegungen nutzbar sein kann: Dies bezeichnet kompensierende Bewegungsabläufe, die fehlende Muskelfunktionen ausgleichen können. Hierzu gehört bspw. der gezielte Einsatz des eigenen Körpergewichts, um Schwung zu holen.
Für einen querschnittgelähmten Schwimmer mag es bspw. nicht möglich sein die Knie zu strecken. Eine scheinbare Flexion der Knie kann aber beim Kraulschwimmen ggf. erreicht werden, wenn die Rumpffunktion erhalten ist und durch Rotation im Oberkörper eine Beugung in der Hüfte realisiert werden kann: Der Schwimmer lässt die Beine gezielt absinken und durch die Körperrolle direkt wieder aufschweben. Von außen erscheint es wie ein Abstoß von der Wand, was in der Schwimmbewegung stärker für eine bessere Wasserlage als für Vortrieb sorgen kann.
Technik & Training - Paraplegie & Spina bifida
Bei Paraplegie und Spina bifida liegen keine Einschränkungen im Oberkörper vor, sodass sich Bewegungen der Arme nicht vom Leitbild unterscheiden sollten. Sportlerinnen und Sportler mit Spina bifida können dabei leichte Koordinationsprobleme aufweisen, die einen längeren Lernprozess und häufigere Instruktionen fordern, wodurch aber nicht der Schluss gezogen werden sollte, dass auch eine intellektuelle Behinderung vorliegt.
Spina bifida (dt. auch Wirbelspalt) ist eine angeborene Rückenmarksverletzung, die etwa bei einer von 1500 Geburten auftritt. Aus bisher unbekannten Gründen entwickelt sich hier die Wirbelsäule sehr früh in der Schwangerschaft fehlerhaft, sodass an einer Stelle der Wirbelsäule der von den Wirbeln gebildete Rückenmarkskanal offen bleibt, weshalb Spina bifida umgangssprachlich auch „offener Rücken“ genannt wird. Das Ausmaß der Behinderung ist in Abhängigkeit der Höhe der Läsion sowie der geschädigten Nerven sehr unterschiedlich und kann von geringfügigen motorischen wie sensorischen Einschränkungen bis zur kompletten Querschnittlähmung reichen (Falchek, 2018). Letztere Ausprägung ist in diesem Abschnitt der Paraplegie zugeordnet. Bei leichten Formen ist individuell abzuwägen, welche Erwartungshaltungen an Schwimmtechniken und Training zu richten sind: Entsprechend der vielfältig möglichen Ausprägungen kann der Ansatz dem für Sportlerinnen und Sportler ohne Behinderung folgen oder auch Empfehlungen für vergleichbare Erscheinungsformen anderer körperlicher Behinderungen einbeziehen.
Schmetterling
Für die Zielform ist festzustellen, inwiefern Beine und Rumpf genutzt werden können. Für einige Sportlerinnen und Sportler kann das Schmetterlingsschwimmen auch keine sinnvolle Zielbewegung darstellen, wenn operativ eingesetzte Stützstäbe im unteren Rücken die Beweglichkeit einschränken. Der Rücken ist dann versteift und keine Form der Delfinwelle ist möglich bzw. schon beim Heben des Kopfes zur Atmung kann es zu Schmerzen kommen.
Für gehende Sportlerinnen und Sportler sind nur wenige Abweichungen vom Leitbild erwartbar: Der Impuls des Beinschlags kann aus der Hüfte initiiert und über Knie und Füße in einen aktiven Kick überführt werden. Entscheidender als die Vortriebswirkung ist dabei die Unterstützung der Gesamtbewegung bzw. Delfinwelle. Wenn die Umsetzung eines 2er-Beinschlags/Rhythmus im Einzelzyklus der Arme koordinativ zu herausfordernd ist, kann auch nur mit einem aktiven Kick gearbeitet werden: Entweder als Eintauchkick beim Einsetzen der Hände oder am Ende der Druckphase zum Ausheben der Arme, was das Ausheben und die Atmung zusätzlich erleichtern kann. Während des ausgelassenen Kicks bleibt der Rhythmus der Delfinwelle erhalten, d.h. die Hüfte muss die Undulationsbewegung fließend weiterführen, auch wenn kein aktiver Kick erfolgt und die Beine gestreckt bleiben. Bei großen Schwierigkeiten einen aktiven Beinschlag auszuführen, kann dieser ganz ausbleiben, wobei auch hier die Undulationsbewegung der Hüfte im Rhythmus nach Leitbild unterstützen sollte. Ist allerdings die Hüfte betroffen, aber eine Bewegung der Knie möglich, kann der Beinschlag auch aus den Knien erfolgen – ob diese Form dann auch für den Wettkampf geeignet ist, muss individuell abgewogen werden, da entstehende Widerstände die mögliche Vortriebswirkung ggf. überwiegen. Bei allen genannten Stilen ist die Ausführung eines Wechselbeinschlags zu vermeiden.
Für Sportlerinnen und Sportler ohne Funktion der Beine sind auch Abweichungen der Armbewegungen vom Leitbild nötig: Normalerweise hilft der Beinschlag beim Ausheben der Arme und Heben des Kopfes zur Atmung, was hier nicht möglich ist. Die frontale Atmung ist entsprechend erschwert, kann aber unterstützt werden, indem bspw. der Kopf etwas früher zur Atmung gehoben wird und/oder das Ende der Druckphase etwas breiter und betont kräftig erfolgt. Auch eine seitliche Atmung ist denkbar, da der Kopf hier nicht so hoch angehoben werden muss und die Ausführung ggf. auch energiesparender ist. In beiden Fällen kann über die Kopfsteuerung eine Optimierung der Wasserlage erreicht werden, wenn der Kopf zum Ausatmen aktiv etwas tiefer als im Leitbild wieder nach unten gebracht wird, was Hüfte und Beine nach oben bringen kann und die Andeutung einer Delfinwelle schafft.
Abbildung 23
Verena Schott vom Brandenburgischen Präventions- und Rehabilitationssportverein ist seit vielen Jahren für Deutschland in der Startklasse S6 erfolgreich. Nach einem Unfall in der Jugend ist sie inkomplett querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Da sie über Funktionen in Beinen und Rumpf verfügt, sind ihre Schwimmbewegungen teils dicht am Leitbild: Beim Schmetterlingsschwimmen sorgen eine aktive Hüftbewegung und zwei kleine Kicks für den typischen Rhythmus und unterstützen die Arme beim Ausheben (Foto: Binh Truong).
Rücken
Die Rückenlage stellt für viele Schwimmerinnen und Schwimmer die günstigste Körperlage dar, da hier die Atmung unbehindert ist und durch das Schleppen der Beine die auftretenden Widerstände minimal und nicht so ausgeprägt wie bspw. beim Kraulschwimmen sind. Für gehende Sportlerinnen und Sportler kann, wenn möglich, ein Beinschlag in der Gesamtbewegung angestrebt werden: Der Beinschlag kann auch weniger dem Vortrieb als der Stabilisierung der Wasserlage dienen. Statt einer hohen Frequenz liegt der Fokus dann auf regelmäßig unterstützenden einzelnen Kicks bspw. einmal pro Armzyklus. Wird kein Beinschlag ausgeführt, sollten die Beinen möglichst eng und strömungsgünstig geführt werden, hierfür können die Füße/Knöchel auch übereinander platziert werden, wenn dies ein Auseinandertreiben verhindert.
Für alle Sportlerinnen und Sportler wird eine optimale Kopfhaltung entscheidend sein, um die Wasserlage bestmöglich zu halten: Ist das Kinn zu nah an der Brust, werden die Beine zwangsläufig absinken, was bei Schwimmerinnen und Schwimmer ohne Funktion der Beine zu extremen Widerständen führen kann. Die ruhige, gerade Kopfhaltung mit dem Hals in Verlängerung der Wirbelsäule ist daher besonders wichtige für Schwimmerinnen und Schwimmer, die ebenfalls keine Rumpffunktion mehr besitzen. Individuell kann eine variierte Kopfposition nötig sein, bspw. sogar mit zurückgelehntem Kopf (Blick leicht in Schwimmrichtung), um die Beine oben und damit eine günstige Wasserlage zu halten.
Die Armbewegung kann in der Regel nah an das Leitbild heranreichen, einigen typischen Fehlern ist dabei entgegenzuwirken: Zwar vermittelt die Rückenlage durch den großen Auftrieb viel Sicherheit, für einige Schwimmerinnen und Schwimmer birgt jedoch die nötige Rotation um die Körperlängsachse beim Armzug die Gefahr und Angst, auf den Bauch zu kippen. Eine Rotation wird vermieden, daraus resultiert ein zu weites Eintauchen des Armes entfernt vom Kopf und folglich ein zu kurzer Zugweg bzw. wenig Vortriebsentwicklung. Zugeständnisse beim Einsetzen sollten nur gemacht werden, wenn durch fehlende Rumpffunktion keine andere Ausführung möglich ist. Andernfalls fehlen die nötigen Grundlagen (Wassersicherheit, Grundfertigkeiten), die zunächst weiterentwickelt werden müssen. Dies gilt auch bei der Beobachtung von zusätzlichen Paddelbewegungen während des Armzugs, die ebenso aus Angst vor Rotation/Körperrolle auftreten können. Beim Rückenschwimmen findet dies eher in der Mitte des Wasserfassens statt: Der Abdruck richtet sich dabei eher nach unten, was die Hüfte ungünstig anhebt und eine zielgerichtete Rotation (bzw. das befürchtete Umkippen) verhindert.
Brust
Beim Brustschwimmen sind Abweichungen der Armbewegung vom Leitbild von Einsatz und Vortriebsleistung der Beine abhängig. Für einige Sportlerinnen und Sportler kann das Brustschwimmen keine sinnvolle Zielbewegung darstellen, wenn operativ eingesetzte Stützstäbe im unteren Rücken die Beweglichkeit einschränken. Der Rücken ist dann versteift und keine Form der Delfinwelle ist möglich bzw. schon beim Heben des Kopfes zur Atmung kann es zu Schmerzen kommen.
Für gehende Sportlerinnen und Sportler kann die Andeutung des Beinschlags sinnvoll sein, wobei die Einhaltung der Wettkampfbestimmungen (simultane Ausführung des Beinschlags in gleicher horizontaler Lage) zu beachten ist. Die zeitliche Kopplung der Arm- und Beinbewegung kann nach Leitbild erfolgen. Vortrieb der Beine kann ggf. auch dann erzeugt werden, wenn diese eher breit grätschen müssen (Abduktion und Adduktion der gestreckten Beine) und die Füße nicht nach außen gestellt werden. Ob dies effektiv und für den Wettkampf relevant ist, muss individuell abgewogen werden.
In der Regel wird im Wettkampf nur die isolierte Armbewegung mit geschleppten Beinen angewendet. Die Wasserlage ist hier kontinuierlich sehr flach (bei fehlender Rumpffunktion) oder nach Leitbild wellenartig (wenn Rumpffunktion vorhanden). In beiden Fällen sollte das Wasserfassen breiter sein und auf Gleitphasen verzichtet bzw. eine hohe Frequenz angestrebt werden. Zur Minimierung von Widerständen sollte das Gesicht immer für einige Zyklen bis zur nächsten Atmung im Wasser bleiben. Zu beachten sind auch hier die Wettkampfbestimmungen, welche verlangen, dass der Kopf mit jedem Zyklus die Wasseroberfläche durchbrechen muss.
Sportler ohne Rumpffunktion können zudem andeutungsweise über die Kopfsteuerung eine undulierende Bewegung erreichen, was dem Absinken der Beine entgegenwirken kann: Der Kopf wird dabei mit dem Strecken der Arme aktiv nach vorne-unten gedrückt (Kinn zur Brust), womit die Hüfte angehoben wird und der Rumpf bogenförmig nachfolgt. Ein aktiver Schultereinsatz nach vorne in die Streckung unterstützt zusätzlich und erzeugt eine Rundung des Rückens. Bleibt das Gesicht im Wasser, wird der Kopf durch den Armzug passiv leicht nach oben gebracht. Der Kopf kann dabei ggf. auch auf der Brust bleiben, wenn sichergestellt ist, dass der Kopf während des Zyklus die Wasseroberfläche durchbricht, andernfalls muss er aktiv leicht gehoben werden. Soll geatmet werden, wird der Kopf aktiv wieder nach oben gebracht.
Kraul
Auch für Paraplegiker stellt das Kraulschwimmen die schnellste und ökonomischste Schwimmart dar, da sie die vortriebswirksame Armbewegung nach Leitbild umsetzen können.
Mit der Bauchlage und insbesondere beim Kraulschwimmen sind große Herausforderungen verbunden: Das Absinken der Beine kann zu enormen Widerständen führen und die Herstellung einer optimalen Wasserlage stellt zunächst die Grundvoraussetzung für zielgerichtete Schwimmbewegungen dar (siehe Eingangsbemerkungen).
Für gehende Sportlerinnen und Sportler kann, wenn möglich, ein Beinschlag in der Gesamtbewegung angestrebt werden: Der Beinschlag kann weniger dem Vortrieb als der Stabilisierung der Wasserlage dienen. Statt einer hohen Frequenz liegt der Fokus dann auf regelmäßig unterstützenden, einzelnen Kicks bspw. einmal pro Armzyklus. Wird kein Beinschlag ausgeführt, sollten die Beinen möglichst eng und strömungsgünstig geführt werden, hierfür können die Füße/Knöchel auch übereinander platziert werden, wenn dies ein Auseinandertreiben verhindert.
Sportlerinnen und Sportler ohne Funktion von Rumpf und/oder Beinen kompensieren die Herausforderungen der Auftriebssituation und Gleichgewichtsfindung häufig mit ungünstigen Bewegungen, die den effektiven Schwimmbewegungen entgegenwirken: Bspw. Exzessives Pendeln mit dem Kopf außerhalb der Körpermitte, Zugmuster auf der entgegengesetzten Körperseite („Übergreifen“) und zusätzliche Paddelbewegungen im Zugverlauf (häufig vor dem Ausheben). Mit diesen Sportlerinnen und Sportlern sollten Armbewegungen ebenfalls nahe am Leitbild angestrebt und dafür zunächst die nötigen Grundlagen (Grundfertigkeiten) entwickelt werden. Hierfür eignen sich aus dem Regelsport gängige Übungen für die Verbesserung der Wasserlage und spezifische Zubringerübungen für das Kraulschwimmen. Der Beinschlag sollte nach Möglichkeit integriert und durch Flosseneinsatz unterstützt werden.
Für Schwimmerinnen und Schwimmer ohne Beinfunktion und solche mit Spina bifida kann die Kopfposition nach Leitbild problematisch sein: Durch das leichte Auftreiben von Füßen, Beinen und Hüfte kann der Kopf bei abwärts gerichtetem Blick zu tief eintauchen und die Hüfte zu weit an die Oberfläche treiben lassen (der Sportler wird „kopflastig“). Ideal ist eine Position, in der der Kopf etwas höher liegt als die Hüfte. Hierfür sollte individuell eine optimale Kopfposition mit einem eher nach vorn gerichtetem Blick gefunden werden, ohne dass die Beine drohen abzusinken.
Technik & Training - Tetraplegie
Bei Sportlerinnen und Sportlern mit kompletter Tetraplegie ist keine Kontrolle des Rumpfes (untere Rücken- und Bauchmuskulatur) und der Beine möglich. Schwimmbewegungen werden sich auf die Arme beschränken bei bestmöglicher Kontrolle einer günstigen Wasserlage. Die verbliebene Motorik der Arme hängt vom Ort der Rückenmarksschädigung ab: Funktionieren Trizeps und Bizeps, sind aktive Beugung und Streckung im Ellenbogen möglich, ggf. kann auch nur der Bizeps für eine aktive Beugung eingesetzt werden. Fingerbewegungen können eingeschränkt oder gar nicht möglich sein, wobei ein aktives Schließen der Finger eher in keinem Fall zu erwarten ist. Wichtig ist zudem die Beurteilung der Motorik im Handgelenk, ob hier Beugung und/oder Streckung aktiv realisiert werden können.
Stehen bei inkompletter Tetraplegie Restfunktionen der Beine zur Verfügung, kann auch die Beinbewegung als Antriebsform in Frage kommen. Diese wird vorrangig isoliert im Training für die ganzheitliche Beanspruchung des Körpers realisiert und nicht im Wettkampf, da hier die isolierte Armbewegung vortriebswirksamer sein wird. Eine gemeinsame Koordination von Armen und Beinen wird zu anspruchsvoll und für den Wettkampf nicht produktiv sein, aber die Vielfalt im Trainingsprozess bereichern.
Eine besondere Herausforderung für alle Tetraplegiker stellt die koordinierte Atmung dar. In der Bauchlage kann es zu häufigem Verschlucken kommen, wenn fehlende Motorik in Rumpf und Nacken kontinuierliches Drehen und Heben des Kopfes erschweren. Zusätzlich können Störungen beim Husten und Schlucken hinzukommen. Die Schwimmbewegungen finden daher in der Regel auf dem Rücken statt (auch für Freistil) und nur sehr selten auf dem Bauch. Im Sinne einer vielseitigen Ausbildung und der schwimmerischen Sicherheit sollten Übungen auf dem Bauch (bspw. zur Atmung und Rotation) in keinem Training fehlen.
Unwillkürliche Bewegungen und Reflexe, insbesondere von Kopf und Nacken, sind ebenso bei allen Erscheinungsformen erwartbar. Diese werden in der Regel durch Kopfbewegungen (Drehen, Nicken) ausgelöst und werden oft gezielt erlernt, um beim Sitzen, Drehen und vielen weiteren Alltagshandlungen fehlende Motorik zu kompensieren. Anders als bei der Tetraplegie durch Zerebralparese sind diese Bewegungen im Schwimmen in der Regel nicht durch Übung zu minimieren. Vielmehr helfen sie den Sportlerinnen und Sportlern auch in den Schwimmbewegungen und sollten in die angepassten Schwimmtechniken integriert werden.
Häufige Begleiterscheinung bei Rückenmarksverletzungen stellen Kopfverletzungen dar (Felleiter, Baumberger & Koch, 2015). Damit verbundene Störungen in der Informationsverarbeitung können Anleitung und Training erschweren, wenn bspw. das Kurzzeitgedächtnis betroffen ist und Instruktionen innerhalb weniger Augenblicke vergessen werden. Ein derartiges Verhalten erscheint dann wie eine intellektuelle Behinderung, welche es aber nicht unbedingt sein muss (ähnlich einer Zerebralparese, die auch nicht mit intellektuellen Beeinträchtigungen einhergehen muss). Ein Umgang wie mit einem Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung wäre in der Anleitung entsprechend kontraproduktiv.
Die verfügbare Motorik im Handgelenk dient Anne Green (2010) für die Kategorisierung zweier Typen innerhalb der kompletten Tetraplegie, die als Orientierung dienen können. In keinem Fall stellt dies eine medizinische Kategorisierung oder funktionelle Klassifizierung für das Wettkampfsystem dar! Generalisierungen sollten von der dargestellten Kategorisierung nicht abgeleitet werden. Bei den dargestellten Clustern sind bspw. auch Überschneidungen und Kombinationen möglich.
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Typ 1 |
Typ 2 |
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Handgelenkstrecker intakt, aber keine Beuger |
Handgelenkstrecker, Beuger und Trizeps intakt |
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Typ 1 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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Typ 2 |
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Schmetterling |
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Rücken |
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Brust |
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Kraul |
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