Para Leichtathletik

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5.3.2 | Lauf, Mittel- und Langstrecke

Das Bewegungsmodell im Mittel- und Langstreckenlauf ist dem des Sprints ähnlich. Auch im Lauf werden die einzelnen Schritte gemäß dem Phasenmodell von Meinel und Schnabel untergliedert. Die Stütz- wird als Hauptphase defi niert, da durch den Bodenkontakt der entscheidende Impuls für den Vortrieb generiert wird, entsprechend die Schwung- als Zwischenphase. Doch fallen im Lauf die Schritte kürzer aus und sind stärker von der Bewegungsökonomie geprägt.

5.3.2.1 Beschreibung Wettkampftechnik Lauf

Lauf Der Laufschritt ist wie der Sprintschritt eine zyklische Bewegung, die aus Vorderund Hinterstütz sowie hinterer und vorderer Schwungphase besteht, die wechselseitig ineinander übergehen. Im Lauf ist die Oberkörperposition aufrecht, der Fußaufsatz zur vorderen Stützphase erfolgt auf dem ganzen Fuß vor der KSP-Senkrechten. Auch wenn die Ferse zuerst aufsetzt (Bild 1), ist das Bestreben des Läufers, den Fuß schnell auf die ganze Sohle zu klappen und das Bein unter dem Körper nach hinten zu führen. Wenn das (andere) Schwungbein das Stützbein erreicht (Knie an Knie, Bild 2), wechselt das leicht gebeugte Stützbein in die hintere Stützphase, die mit energischer Knie- und Fußstreckung im Abdruck vollendet wird (Bilder 3–4). Mit dem Lösen des Fußes vom Boden beginnt die hintere Schwungphase (Bild 1, anderes Bein), die durch ein moderates Anfersen des Schwungbeins gekennzeichnet ist, das so leichter nach vorn geführt werden kann (Bild 2). Sobald wieder Knie an Knie sind, beginnt die vordere Schwungphase, die durch einen – in Abhängigkeit von der Laufi ntensität bzw. -geschwindigkeit – hohen Kniehub geprägt ist. Der Oberschenkel bleibt deutlich unter der Waagerechten (Bilder 3–4), wenn der Athlet das Knie streckt, den Unterschenkel nach vorn auspendelt und bei leicht angehobener Fußspitze dem Bodenaufsatz vorbereitet (Bild 1).
Die gebeugten Arme werden diagonal zu den Beinen eingesetzt, wenn sich das rechte Bein im hinteren Stütz befi ndet (Bild 4), hat der rechte Arm seinen vorderen Wendepunkt erreicht und der linke Arm den hinteren Wendepunkt und umgekehrt. Jeweils in der Bewegung nach vorne bzw. zurück werden die Ellbogenwinkel leicht geöffnet (Bilder 2 und 3) und haben an den Wendepunkten die stärkste Beugung (Bilder 1 und 4).

Bildreihe 4

Bildreihe 4 Mittel- bzw. Langstreckenlauf

Hochstart: Der Athlet begibt sich hinter der Startlinie in eine leichte Schrittposition, wobei die Fußspitze des vorderen Fußes die Startlinie gerade nicht berührt. Er beugt leicht die Beine und winkelt den Oberkörper am Hüftgelenk, soweit es die Standsicherheit erlaubt, nach vorne ab. Die Arme werden in die zur Schrittstellung der Beine gegengleiche, angewinkelte Schwungposition gebracht. Nach dem Startschuss wird der Druck auf das vordere Bein verlagert, das sich energisch streckt, während das hintere nach kurzem Abdruck nach vorne schwingt und kurz hinter der Startlinie das erste Mal aufsetzt. Bei weiterem Aufrichten des Oberkörpers und sich verlängerndem Schritt beschleunigt der Athlet primär über die Kniestreckung.

Abb. 5.40a Abb. 5.40b

Abb. 5.40 Hochstart

5.3.2.2 Methodik der lauftechnischen Ausbildung

Da sich die Lauftechnik nicht grundsätzlich von der des Sprints unterscheidet, ist ihre methodische Vermittlung ähnlich, auch wenn der Stellenwert nicht ganz so hoch wie im Sprinttraining ist. Kinder und Jugendliche können schon laufen, bevor sie im Verein oder im Sportunterricht systematisch angeleitet werden. Es geht also darum, die vorhandene Lauftechnik zu verbessern und einen individuell optimalen Laufstil zu etablieren. Während die Ausbildungsziele im Sprint eine möglichst hohe Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit sind, kommt in den Ausdauerdisziplinen die Laufökonomie hinzu, die sich durch folgende Faktoren auszeichnet:

  • Gleichförmige Schrittgestaltung bei symmetrischer Bein- und Arm-Koordination
  • Vermeidung überflüssiger (Teil-) Bewegungen
  • Gleichmäßige Geschwindigkeitsgestaltung passend zur Laufdistanz
  • Beständigkeit der Lauftechnik auch bei zunehmender Ermüdung
Abb. 5.41

Abb. 5.41 Durch regelmäßiges Ein- und Auslaufen entsteht eine erste Laufökonomie

Auch wenn im ausdauernden Lauf allein durch die Ermüdung einzelne überflüssige Bewegungen, z. B. ein ausladender Armeinsatz oder ein hohes Anfersen, „abgeschliffen“ werden, entlastet es den Trainer nicht von der regelmäßigen Beobachtung und Korrektur der Lauftechnik. Die Schulung der Lauftechnik findet in der Regel im ausgeruhten Zustand zu Wochenbeginn (s. u., Kap. 7) gemeinsam mit dem Sprinttraining statt. Nicht selten werden beide Begriffe bzw. Aufgaben auch synonym verwandt. Hier sollten jedoch die unterschiedlichen Zielsetzungen von Sprint- und Lauftechnik, wie sie zuvor genannt wurden, beachtet werden: Um die Unterdistanz-, Zwischen- und Endspurt-Fähigkeit gerade in den Mittelstrecken zu verbessern, ist ein gezieltes Sprinttraining, wie es zuvor in Kap. 5.3.1 beschrieben wurde, durchaus sinnvoll. Dabei können im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten fast alle der da genannten Trainingsmittel zum Einsatz kommen, so dass die Sprinttechnik, dadurch die Schnelligkeit und Schnelligkeitsausdauer verbessert werden. Ganz bewusst muss aber auch die ökonomisch-orientierte Lauftechnik gefördert werden, in der die Wettkämpfe und der Großteil des Trainings bestritten werden. Dazu dienen insbesondere die Motorikläufe, wie sie nachfolgend beschrieben werden. Für den Läufer ist auch unter Ermüdungsbedingungen eine gute Lauftechnik von Vorteil, insofern können – bei fortgeschrittenen Athleten – technikbetonte Bausteine auch am Ende eines Ausdauerbzw. Schnelligkeitsausdauertrainings stattfinden. Hier gilt es dann, mit der verbliebenen Energie zu haushalten bzw. auch mit einem langsameren Energieträger technik-orientiert zu arbeiten. Der Langlauf-Experte Kurt Ring absolviert mit seinen Spitzenathleten selbst nach dem langen Dauerlauf noch Steigerungsläufe auf Basis des intensiven Fettstoffwechsels (vergl. Ring & Killing, 2021).

5.3.2.3 Technische Besonderheiten einzelner Startgruppen

Wie schon für die Technik und Ausbildungsmethodik gelten auch hier die Hinweise, die zuvor für die Sprinttechnik gemacht wurden und dort nachgelesen werden können. Nachfolgend werden nur einige darüberhinausgehende Hinweise für die längeren Laufstrecken gemacht.

Sehbeeinträchtigung. Schon zuvor wurde auf die Problematik hingewiesen, dass es insbesondere für männliche Athleten mit Blindheit oder starker Sehbeeinträchtigung schwierig ist, geeignete leistungsstarke Guides zu finden. In den Langläufen ab 5.000 m ist es erlaubt, zwei Guides nacheinander einzusetzen, so dass auch eine doppelte Gewöhnung und Anpassung der Laufstile aneinander erforderlich ist. Auf der Straße ist durch das längere Bändchen, das Athlet und Guide verbindet, der Spielraum etwas vergrößert. Eine Harmonisierung der Bewegung liegt schon im Interesse der Laufökonomie und gleichmäßigen Geschwindigkeit, bei einem Reißen oder Loslassen des Bändchens droht sogar die Disqualifikation.

Abb. 5.42

Abb. 5.42 Hohe Bewegungsharmonie von Läuferin und Guide ist entscheidend für Leistung und Erfolg

Zerebrale Beeinträchtigung. Für Athleten mit Hemiparese ist die Ausbildung einer gleichförmigen Laufbewegung eine besondere Herausforderung, aber auch von besonderem Wert für die Laufleistung. Insofern benötigen Athleten mit zerebraler Beeinträchtigung einen erhöhten Anteil an koordinativ und technisch ausgerichtetem Training. Auch kann eine physiotherapeutische Betreuung, ersatzweise intensive Gymnastik und Stabilisierung vor und nach dem Training die Bewegungsamplituden beider Körperseiten optimieren und so die Leistung fördern. Gleiches gilt für Athleten mit Lähmungen in den Beinen oder Armen bzw. mit Amputationen an den oberen Extremitäten. Problematisch ist das Auftreten von Spastiken bei steigendem Laktatgehalt. Das kann zur Verschlechterung der Lauftechnik und sogar zu Stürzen führen. Hier müssen Trainer und Athlet das geeignete Tempo finden, bei dem der Athlet noch handlungsfähig ist.

Abb. 5.43

Abb. 5.43 Athleten mit Beeinträchtigungen an den Armen erzielen dennoch gute Laufergebnisse

Bei längeren Läufen erhöht sich nicht nur die Körperkerntemperatur, sondern auch die der Belastungsmuskulatur in Armen und Beinen, zugleich steigt der Schweißaustritt. Dadurch kann es an der Verbindung Schaft – Beinstumpf zu Reibung und Enge kommen. Hier ist eine besondere Hygiene angebracht, z. B. Trockenreiben des Stumpfes nach dem Erwärmen, um Schmerzen am Bein und Lockerungen an der Prothese zu vermeiden, die jeweils zu Beeinträchtigungen der Lauftechnik führen können.

Beinprothesen. Bei einer bzw. bei zwei unterschiedlich langen Prothesen dient eine intensive Koordinations- und Lauftechnikschulung dazu, einen möglichst gleichmäßigen, ökonomischen Laufstil zu entwickeln, bei gleich langen Prothesen ist ein gleichmäßiges Laufbild leichter zu realisieren (Abb. 5.44).

Abb. 5.44

Abb. 5.44 Athleten mit zwei gleichlangen Beinprothesen realisieren eine gleichförmige Bewegung

Abb. 5.45

Abb. 5.45 Motorikläufe zur Entwicklung einer ökonomischen Lauftechnik

5.3.2.4 Trainingsmittel zur Verbesserung der Lauftechnik

Nachfolgend werden einzelne Trainingsmittel aufgeführt, mit denen gezielt die Lauftechnik angesteuert und verbessert werden kann. Dabei sind, weil die ausdauergeschulten Läufer weniger stark ermüden und sich schneller erholen, die Sprintstrecken etwas länger bzw. dafür die Pausen etwas kürzer. Doch gilt auch hier, dass bei unvollständiger Erholung das Laktat aufsummiert und nicht mehr die ATP-/KP-Speicher, sondern – wie bei den Tempoläufen – die anaerobe Kapazität geschult würde. Das muss der Lauftrainer vermeiden, möchte er den Fokus auf Technikverbesserung, z. B. aktiver Fußaufsatz, erst ziehende, dann streckende Beinarbeit, optimal angepasster Einsatz von Schwungbein und Armen, und auf die maximale Sprintkapazität legen.

  1. Motorik- bzw. Koordinationsläufe
  2. Läufe mit wechselnden Geschwindigkeiten
  3. Lauftraining in unterschiedlichem Gelände
  4. Lauf-ABC
  5. Trainingsmittel des Sprinttrainings

1. Motorik- bzw. Koordinationsläufe
Die Übungen, die von den Sprinttrainern als Steigerungs- oder Koordinationsläufe bezeichnet werden, nennen die Lauftrainer meist „Motorikläufe“. Gemeint sind Läufe über Distanzen von 60–150 m in submaximaler Geschwindigkeit, bei denen Läufer und Trainer insbesondere auf die Qualität der Bewegungsausführung achten:

  • Den vollständigen Abdruck bzw. Beinstreckung hinten
  • Den optimalen, deutlich unter waagerechten Kniehub vorne
  • Den energischen Armeinsatz mit moderater Ellbogenbeugung
  • Die Synchronität von Stützbein und Schwungelementen
  • Die Gleichförmigkeit der Körperseiten bzw. Schrittlängen

Der Vorteil der Synchronkorrektur bei zyklischen Bewegungen sollte hier ausdrücklich genutzt werden, um einzelne Bewegungselemente noch während der Ausführung zu verändern und zu verbessern. Hier muss der Trainer abwägen, was noch individueller Stil ist, den es zu tolerieren gilt, und was ein technischer Fehler ist, den es zu korrigieren gilt. Bei Läufen durch die Kurve hat der Trainer in deren Mittelpunkt eine optimale Korrekturposition. Motorikläufe werden in der Regel zu Trainingsbeginn eingesetzt, können aber, bei fortgeschrittenen Läufern, auch nach der Hauptbelastung, z. B. einem Dauerlauf, abgefordert werden, um die vorgenannten Qualitätskriterien der Lauftechnik unter Ermüdung noch herauszuarbeiten, um damit gegebenenfalls in der Endphase eines Rennens im Spurt den entscheidenden Vorteil zu erarbeiten.

Abb. 5.46

Abb. 5.46 Tempoläufe mit Geschwindigkeitswechseln gleichermaßen für Langsprinter wie Mittelstreckler geeignet


2. Läufe mit wechselnden Geschwindigkeiten
Auch wenn Laufrekorde in der Regel bei gleichförmiger Geschwindigkeit unter Zuhilfenahme von Tempomachern erzielt werden, ist die Rennwirklichkeit im Mittelund Langstreckenlauf häufig von Taktik und wechselnden Geschwindigkeiten geprägt. Darauf müssen die Läufer durch entsprechendes Lauftechniktraining vorbereitet werden. Ähnlich wie die Ins-and-Outs bzw. die Frequenzwechsel bei den Sprintern, trainiert auch der Läufer die abrupte oder allmähliche Temposteigerung aus einer gegebenen Geschwindigkeit. So kann eine 200- oder 300-m-Strecke mit optischen Markierungen (Fahnenstangen) in 40- oder 50-m-Abschnitte unterteilt werden. Nach einer ruhigen Beschleunigung wird der erste markierte Abschnitt bei deutlich erhöhter Geschwindigkeit, der zweite ruhiger usw. absolviert, bis dann die letzten Meter bis ins Ziel wieder die Geschwindigkeit erhöht und gespurtet wird. Um den Überraschungseffekt auszunutzen, können die Geschwindigkeitswechsel auch durch einen Pfiff des Trainers angekündigt werden. Zum Techniktraining wird diese Aufgabenstellung aber erst, wenn die Läufer bewusst auf eine gute Lauftechnik achten und der Trainer beobachtet, bewertet und falls erforderlich auch korrigiert, sei es durch Reinrufen oder im Nachhinein, z. B. bei einer Videoauswertung.


3. Lauftraining in unterschiedlichem Gelände
Da ein erheblicher Teil des Lauftrainings außerhalb des Stadions im Gelände stattfindet, sollte die Lauftechnikausbildung mit Technikbeobachtung und -korrektur durch den Trainer auch auf Naturboden bzw. an leichten Steigungen bzw. auf minimalen Gefällstrecken stattfinden.

Abb. 5.47

Abb. 5.47 Auch beim Lauf im Gelände achten die Athleten auf eine gute Lauftechnik


4. Lauf-ABC
Die Übungen des Lauf-ABC unterscheiden sich prinzipiell nicht von denen des Sprint-ABC, auch hier kommen Skippings, Knieheben, Buttkicks, Stechschrittprellen usw. zum Einsatz. Anders als im Sprint-ABC ist der Oberkörper beim Lauf-ABC jedoch tendenziell etwas aufrechter. Auch können, dem Ausdauertrainingszustand der Muskulatur geschuldet, die Strecken etwas länger werden, also 25–35 m, ohne dass eine Übersäuerung angestrebt wird. Eine Besonderheit ist das Lauf-ABC mit Trabpausen, wie es vor allem von Langstreckenläufern durchgeführt wird. Dies empfi ehlt sich nur für Athleten mit hoher technischer Stabilität. Durch einen kleinen Parcours kann der Trainer gut über die korrekte Ausführung „wachen“, damit sich in der Ermüdung keine Fehler einschleichen.

Abb. 5.48

Abb. 5.48 Einsatz von Skippings und Knieheben zur Technikverbesserung bei Läufern


5. Trainingsmittel des Sprinttrainings
Im Prinzip sind die Trainingsmittel des Sprinters auch die geeigneten Übungen für den Läufer, seine Technik zu entwickeln. D. h. fliegende Sprints, Starts und maximale Beschleunigungsläufe, Sprint- ABC, Sprints mit Frequenz- und Rhythmusaufgaben, Staffeltraining und – bei ausreichendem technischem Vermögen – auch Übungsgut des Hürdenlaufens kommen (idealerweise) auch im Training der Läufer vor.

Abb. 5.49

Abb. 5.49 Intensives Sprinttraining als Eckpfeiler guter Leistungen im Mittelstreckenlauf

Tab. 5.8 Trainingsmittel für die Lauftechnikschulung in Abhängigkeit von der Entwicklungsstufe

Tab. 5.7